Gedanken zur Zeit

1. Oktober 2022

Gruselt es Ihnen auch, wenn Sie die veröffentlichte Meinung verfolgen? Ich habe oft den Eindruck, dass Dürers Apokalyptische Reiter auferstanden sind, durch die Publizistik galoppieren und Angst und Schrecken verbreiten.

Zugegeben: Corona, Russlands Überfall auf die Ukraine, Dürre, Inflation, Energieknappheit im Winter, Inflation, Erderwärmung, Umweltschäden – eine Katastrophe löst die andere ab bzw. sie überlagern einander. Das sind alles ganz schlimme Zustände mit bedauernswerten Opfern. Ob man Fernseher und Radio einschaltet, in Zeitungen oder ins Internet blickt, überall werden die Katastrophen bis ins Detail geschildert, analysiert und permanent wiederholt.

Ich zähle mich inzwischen auch schon zu den Opfern – allerdings von Dauerberieselungen wie von einer Endlosschleife. Ich sehe und höre ständig irgendwelche mir bis dahin unbekannte Experten, die mit wichtiger Miene Sachverhalte als wissenschaftliche Erkenntnisse verkünden, die jeder mit normalem Menschenverstand ohnehin weiß.

Der amerikanische Soziologe Robert K. Merton bildete vor über 70 Jahren den analytischen Begriff der „selffulfilling prophecy“, der sich selbst erfüllenden Prophezeiung oder besser Aussage. Beispiel: Man behauptet, eine Bevölkerungsgruppe sei dumm und könne nicht gebildet werden. Also baut man für sie keine oder unzulängliche Schulen. Ergebnis: Sie erscheinen dumm und bleiben schulisch ungebildet. Die Aussage hat sich selbst erfüllt.

So frage ich mich, ob die immer wieder geäußerte Befürchtung einer Kriegsmüdigkeit in den Ländern, die die Ukraine unterstützen, irgendwann Kriegsmüdigkeit im Gefolge hat – speziell in Deutschland. – So kann die dauernde Berieselung mit Katastrophen Ängste und Unsicherheiten erzeugen oder als Schutzmechanismus Gleichgültigkeit zur Abwehr bis zur Behauptung, die Katastrophen gebe es gar nicht. Die veröffentlichte Meinung beeinflusst die öffentliche Meinung. Und diese kann in persönliche Befindlichkeit umschlagen.

Ich weiß sehr genau, dass diese Katastrophen existieren und bedrohlich sind. Ich erfreue mich dennoch meines Lebens, da es mehr gibt als nur Negatives. Würde ich mich nur an den massenhaften Katastrophenverkündern orientieren, müsste ich Selbstmord aus Angst vor dem Tod begehen. Allerdings helfen mir bei der Selbstmordvermeidung die vielen „lebensklugen“ Ratschläge, wie mit der einen oder anderen Katastrophe umzugehen ist.

Ich wäre alleine nie auf die Idee gekommen, um Strom und Gas zu sparen, das Licht beim Verlassen des Raumes auszuschalten, die Hände kalt zu waschen, kürzer warm zu duschen, die Heizung herunter zu drehen und im Winter Türen sowie Fenster zu schließen. Dass ich Benzin sparen kann, indem ich langsamer und weniger fahre, war mir auch völlig neu. Vielleicht könnte man den Spareffekt erhöhen, indem man die Benzinzufuhr des Autos auf die Hälfte drosselt. Zum Stromsparen könnte man die Glühbirne im Kühlschrank herausnehmen. Noch sind die letzten beiden Vorschläge nicht ernst gemeint. Aber sie kommen vielleicht demnächst.

Den Höhepunkt realsatirischer Hinweise fand ich mit einer Erläuterung, die Dürre rühre daher, dass es nicht regne. Verstehen Sie mich bitte nicht falsch. Ich will all die Katastrophen nicht verharmlosen. Im Gegenteil, man muss ihrer gewahr sein, um genügend zu ihrer Abwendung zu tun. Aber müssen wir andauernd mit einer Mischung aus hysterischen Meldungen und infantilen Rezepten überschüttet werden? So dämlich sind die Empfänger der Meldungen nicht. Aber vielleicht deren Schöpfer!?

Text: Uwe Müller

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