Vor 50 Jahren: 20 Schülerinnen und Schüler legten erstes Abitur am Hümmling-Gymnasium ab

6. Juli 2022

Schwierige Bedingungen beim Aufbau der neuen Schule – Lehrer: „Wir konnten etwas bewegen“

Sögel – „Zwölf junge Frauen und acht junge Männer erhielten aus der Hand von Oberstudiendirektor Hanenkamp in einer knappen und schlichten Feierstunde im Flurfoyer das Zeugnis der Reife“, berichtete die Ems-Zeitung am 21. Mai 1972. Siebzehn dieser Abiturienten trafen sich nun in Sögel und blickten nach 50 Jahren auf eine bewegtes Schulleben zurück. Auch ihre Lehrer erinnern sich.

Der damalige Klassensprecher und Mitorganisator des Treffens, Bernhard Quappen, sowie die in Sögel wohnenden damaligen Lehrer Holger Lemmermann, Walter Czeranka und Georg Schmidt erzählen unserer Redaktion von einer bewegten Schulzeit, die mit den heutigen Verhältnissen nicht vergleichbar sei. Das Treffen des ersten Abiturjahrgangs des am 18. April 1966 eröffneten Sögeler Gymnasiums fand genau 50 Jahre und 2 Tage nach dem offiziellen Abiturtermin statt.  Es war das erste Treffen in diesem Kreis, so dass sich einige Schüler zum ersten Mal seit 50 Jahren wiedergesehen hätten, berichtet Bernhard Quappen. Im Vorfeld konnten nach langer Suche die Adressen von 19 der 20 Abiturienten gefunden werden. 17 Schüler nahmen am Treffen teil, und eine Mitschülerin war zeitweise über eine Videoverbindung zugeschaltet.

Der erste Abiturjahrgang des Sögeler Gymnasiums im Mai 1972: (untere Reihe von links): Thekla Henke, Jürgen Friedmann, Elisabeth Niemöller, Uwe Jürgens, Brigitte Hempen, Eva-Maria Meier, Gertrud Schmees, Hildegard Held, Bernhard Quappen, Johannes Schröer. Obere Reihe: Schulleiter Dr. Hubert Hanenkamp, Elisabeth Niermann, Margret Ficker, Agnes Becker, Ulrich Witte, Johannes Hinrichs, Franz Stevens, Martin Winterring, Elisabeth Jungsbluth, Hannelore Timpe und Annette Proll. Foto: Sammlung Quappen/ Repro. Lambert Brand

In den lebhaften Gesprächen wurden Informationen über die aktuellen Lebenssituationen ausgetauscht, aber im Mittelpunkt hätten natürlich die Erinnerungen an die gemeinsame Schulzeit und an Klassenfahrten gestanden. Man unterhielt sich über die Lehrer und deren in Erinnerung gebliebenen Eigenarten und Sprüche wie: „Wenn Sie später ihr Geld mit Denken verdienen müssen, werden Sie verhungern“. Gesprächsthema war auch, dass es damals für die Schüler aus den kleineren Gemeinden des Hümmlings wenig Möglichkeiten gab, außerhalb der Schule an Nachmittagen oder in den Ferien mit anderen Schülern in Kontakt zu bleiben. In vielen Haushalten gab es noch kein Telefon, öffentlicher Nahverkehr fand so gut wie nicht statt und das „Taxi Mama“ war noch nicht erfunden. Man war allerdings auf dem Hümmling froh, endlich über ein nahe gelegenes Gymnasium zu verfügen. Bis zur Gründung mussten die Schülerinnen und Schüler die Gymnasien in Papenburg oder Meppen besuchen, was mit hohen Kosten, langen Schulwegen und teilweise mit der Unterbringung in Internaten verbunden war. Dieses Privileg war nur Wenigen vorbehalten.

Die Schülerinnen und Schüler des Abiturjahrgangs am Hümmling-Gymnasium in Sögel trafen sich nach 50 Jahren zum ersten Mal wieder: (von links nach rechts)
Ulrich Witte, Brigitte Hempen, Martin Wintering, Johannes Schröer, Johannes Hinrichs, Hannelore Timpe, Hildegard Held, Thea Henke, Elisabeth Niemöller, Gertrud Schmees, Margret Ficker, Franz Stevens, Eva Meier, Elisabeth Jungsbluth, Agnes Becker, Jürgen Friedemann und Bernd Quappen. Es fehlen: Elisabeth Niermann, Annette Proll und Uwe Jürgens.
Foto: Quappen

„Wir waren immer die ältesten Schüler der Schule und sind 1966 als 7. Schuljahr mit fast 40 Schülern in einer Klasse gestartet. Wir hatten vorher die 6. oder 7. Klassen der Mittelschulen (das sind die heutigen Realschulen) in Sögel oder Werlte durchlaufen“, beschreibt Quappen die anfängliche Situation. In einigen Fällen ließen Eltern ihre Kinder ein Jahr in der Mittelschule wiederholen, um dann die erste Klasse sieben des neugegründeten Gymnasiums besuchen zu können. „Das Lehrerkollegium war mit wenigen Lehrern auch für uns sehr übersichtlich“, erinnert sich Quappen. Unterrichtsausfall habe es vom ersten Tag an gegeben. Bis auf katholische Religion seien alle Fächer betroffen gewesen. In den naturwissenschaftlichen Fächern Physik und Chemie gab es in den ersten Jahren weder Fachräume, Materialsammlungen noch genügend Fachlehrer. Biologie wurde nach Buch unterrichtet.

In den ersten Schuljahren nach Gründung des Gymnasiums war das spätere Schulgebäude in der Nähe von Schloss Clemenswerth noch nicht fertiggestellt. Die Einweihung erfolgte erst 1970. Die Klassenräume befanden sich zunächst im damals kreiseigenen Ludmillenhof, in der Landwirtschaftsschule und in der gewerblichen Berufsschule. Die Lage in Bahnhofsnähe war für die Schüler aus dem Bereich Werlte vorteilhaft, weil sie mit der Hümmlinger Kreisbahn zur Schule kamen.  Nach dem Umzug in den 1970 fertigstellten Neubau änderte sich dies, weil nun noch ein langer Fußweg vom Bahnhof zur Schule zurückgelegt werden musste. Bei schlechtem Wetter kam man nicht selten durchnässt in der Schule an. Dies änderte sich erst mit dem Ende der Hümmlinger Kreisbahn und der Umstellung des Schülertransportes auf überfüllte Busse.

Die Schülerzahl der Klasse wurde mit jedem Jahr kleiner, obwohl auch immer wieder Zugänge von anderen Schulen zu verzeichnen waren. Am Ende waren nur noch 20 von 40 übriggeblieben. Das waren: Ulrich Witte, Brigitte Hempen, Martin Wintering, Johannes Schröer, Johannes Hinrichs, Hannelore Timpe, Hildegard Held, Thea Henke, Elisabeth Niemöller, Gertrud Schmees, Margret Ficker, Franz Stevens, Eva Meier, Elisabeth Jungsbluth, Agnes Becker, Jürgen Friedemann, Bernd Quappen, Elisabeth Niermann, Annette Proll und Uwe Jürgens.

Auch im Gebäude der alten Landwirtschaftsschule (Heute Standort der Polizei und des Arbeitsamtes) fand in den ersten Jahren Unterricht für die Gymnasiasten statt.
Foto: Lambert Brand

„Bei den Lehrern, die uns unterrichteten, gab es hingegen einige Dauerbrenner“, erinnert sich Quappen. „Der Schulleiter Dr. Hanenkamp war in jedem Schuljahr mit Englisch, Erdkunde oder Deutsch dabei und mit einer zweijährigen Unterbrechung auch fünf Jahre unser Klassenlehrer“. Holger Lemmermann unterrichtete „fünf oder sechs Jahre“ Französisch und parallel dazu mehrere Jahre Englisch. Walter Czeranka sei „gefühlt in jedem Jahr“ mit Deutsch, Geschichte oder Gemeinschaftskunde vertreten gewesen. Georg Schmidt hatte die Fächer Erdkunde und Sport. Im 7. oder 8. Schuljahr durfte Lehrer Heinz Kintscher sein ganzes pädagogisches Talent zeigen und die Jungen ohne Werkraum und Werkzeug in Werken unterrichten. Sportlich betätigen konnten sich die Gymnasiasten in den ersten Jahren im Wald hinter dem Ludmillenhof, auf dem Gelände von Clemenswerth und später in der Turnhalle beim Sportplatz.

Anders als heute gab es damals eine Sechstagewoche. „Besonders beliebt und in Erinnerung geblieben sind die Lateinstunden am Samstag in der 6. Stunde nach zuvor zwei Stunden Kunst“, erzählt Quappen. Aufgrund des allgemeinen Lehrermangels habe es aber auch Tage mit nur 3 Stunden Unterricht gegeben und Phasen, in der jeden Mittwoch unterrichtsfrei war. Während ein Schulgottesdienst für die katholische Schüler angesetzt wurden, fanden die Evangelischen Schüler keine Berücksichtigung. Das Wort „Ökumene“ sei wohl noch nicht erfunden worden oder wurde erst zehn Jahre später auf dem Hümmling gelebt, bemerkt Quappen kritisch. Zur offiziellen Schuleinweihung fanden zwei getrennte Gottesdienste statt.

Spannungen traten auf, als nach einem Namen für die Schule gesucht wurde. Auch von Seiten der Schüler sollte ein Vorschlag gemacht werden. Als damaliger Schülersprecher brachte Quappen in einer Schulkonferenz den Vorschlag der Schülervertretung ein, die Schule „Carl von Ossietzky Gymnasium“ zu nennen. Ihm wurde dann klargemacht, das Schüler in der Konferenz keine Anträge stellen könnten. Daraufhin habe eine Lehrerin die Zivilcourage besessen und sinngemäß gesagt: „Wenn Schüler das nicht dürfen, mache ich das und schlage den Namen ‚Carl von Ossietzky Gymnasium‘ vor“. Der Vorschlag fand wenig Gegenliebe in der Schulleitung und bei den zuständigen Stellen und wurde abgelehnt. Später erhielt die Einrichtung den Namen „Hümmling-Gymnasium“.

Der Abi-Jahrgang sei einer der letzten Jahrgänge gewesen, die bis zum Abitur im festen Klassenverband unterrichtet wurden und nicht die Möglichkeit hatten, durch Kurswahl unliebsame Fächer oder deren Lehrer abzuwählen. Auch gab es auf den Abiturzeugnissen noch keine Punkte, sondern die klassischen Noten von eins bis sechs und im Gegensatz zu heute höchst selten mal ein „Einser Abitur“. Abi-Scherze, wie sie später an den Gymnasien üblich waren und nicht immer gut ankamen, gab es vor 50 Jahren noch nicht. Die Rundfahrt mit einem bunt geschmückten Wagen, von dem alten Deutz-Trecker aus dem Hause Quappen durch die Wohnorte der Abiturienten gezogen, blieb in guter Erinnerung. Auch die Erinnerungsfotos lassen auf eine gute Stimmung schließen.

Dass der Standort für das Gymnasium für den Hümmling nach Sögel kam, war erst nach einer knappen Abstimmung im damaligen Kreistag entschieden worden, Die Gemeinden Werlte und Börger hatten ebenfalls ihren Hut in den Ring geworfen. Neben den organisatorischen und baulichen Maßnahmen war es ein großes Problem, genügend Gymnasiallehrer für das neue Gymnasium zu gewinnen. Im Anfangsstadium halfen auch Pädagogen der Mittelschulen und Landwirtschaftsschulen aus.

„Wir wussten gar nicht, wo Sögel und das Emsland liegen, als uns die Schulbehörde die Stelle anbot “, erinnert sich Walter Czeranka, der ebenso wie Holger Lemmermann und Georg Schmidt zu den ersten Gymnasiallehrern gehörten. Das Image und der Ruf des Hümmlings in einer „ärmlichen Heidelandschaft“ sei bei den Studienreferenten extrem schlecht gewesen, beschreibt Georg Schmidt seine früheren Eindrücke. Man habe sich darauf eingestellt, den Hümmling als „notwendige kurze Zwischenstation auf dem weiteren Berufsweg zu sehen.

Mit Trecker und Wagen zogen die Abiturienten durch die Orte des Hümmlings und feierten ihre Reifeprüfung.
Foto: Sammlung Quappen/ Repro. Lambert Brand

Es kam anders. Viele „Junglehrer“ lernten Sögel und die Umgebung schätzen und blieben viele Jahre oder wie Lemmermann, Schmidt und Czeranka, auch nach der Pensionierung. Lobend erwähnen alle drei im Gespräch mit unserer Redaktion die „motivierenden“ Gespräche und Angebote der Gemeindevertreter, allen voran Gemeindedirektor Theo Kröger und Bürgermeister Theodor Kossen. Unbürokratisch vermittelte die Gemeinde den Pädagogen, die zum Teil aus beengten städtischen Verhältnissen kamen, gleich großzügige familienfreundliche Wohnungen mit Garten. Später wurden nicht nur gut gelegenen Bauplätze der Gemeinde, sondern auch günstige Baudarlehen vom Landkreis als Schulträger angeboten. Die Lehrer hätten das Wohnen am Schulstandort schnell als „durchaus positiv“ angesehen.

Von dem freundlichen entgegenkommenden Wesen der Hümmlinger sei man angetan gewesen, auch wenn man sich an die allgegenwärtige plattdeutsche Sprache erst gewöhnen musste. Schnell stellten „die Neuen“ fest, dass sie in der im Aufbau befindlichen Schule („Schule ohne Traditionen“) auch viele Gestaltungsmöglichkeiten bot. Es gab keine verkrusteten Strukturen wie an anderen Gymnasien, und der damalige Schulleiter Hubert Hanenkamp wäre zwar ein „sehr formaler Vorgesetzter“ gewesen, habe aber viel Freiraum für die Unterrichtsgestaltung eingeräumt. Die Schule musste sich in der Aufbauphase allerdings auch mit Beschwerden aus Teilen der Elternschaft auseinandersetzten, wenn es zum Bespiele um die Gestaltung des Sexualkundeunterrichts und um religiöse und politischen Unterrichtsthemen ging. Das habe sich aber in den Folgejahren gelegt.

Der Ludmillenhof in Sögel diente in den ersten Jahren nach der Gründung des Gymnasiums als Schulstandort. Der damalige Schülersprecher Bernhard Quappen (dritter von links) und die Gymnasiallehrer des ersten Abiturjahrgangs Walter Czeranka, Georg Schmidt und Holger Lemmermann erinnerten sich an eine „bewegte Zeit“.
Foto: Lambert Brand

Wie sehr der Hümmling von dem Zuzug der neuen Lehrer profitiert hat, zeigte sich in den Folgejahren. Zusammen mit vielen Kollegen engagierten sich auch Georg Schmidt, Walter Czeranka und Holger Lemmermann beim Aufbau von kulturellen, geschichtlichen und sozialen Einrichtungen und waren Motoren in der damit verbundenen Vereinsarbeit.

Text: Lambert Brand

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