Gedanken zur Zeit

5. Juli 2021

Täglich liest und hört man von Beschimpfungen, Beleidigungen und übelsten Drohungen im Internet. Die sozialen Netzwerke bilden für einige offenkundig die Plattform, um niederste Instinkte los zu werden. Die sozialen Netzwerke mutieren stellenweise zu sozialen Hetzwerken.

Die sozialen Netzwerke haben anscheinend für einige die Funktion der berühmten Couch des Psychiaters. Auf ihr liegt der Patient entspannt in möglichst leicht abgedunkelten Raum und fühlt sich mehr und mehr unkontrolliert, da der Psychiater schräg hinter seinem Kopf außerhalb des Gesichtsfeldes sitzt. Der Psychiater stellt Fragen und gibt Themen oder Stichworte vor, um Stück für Stück in tiefere Schichten der Seele des Patienten vorzudringen. Dieser öffnet sich immer mehr, je unkontrollierter er sich fühlt, und gibt direkt oder indirekt Sorgen, Gefühle, Wünsche sowie Lüste preis, die sein Innerstes umhertreiben, die ihm peinlich sein können, die er gar verdrängt hat. Sie verstoßen oft gegen sein Gewissen, das im Rahmen der Sozialisation gebildet wurde, um ihn mit der Gesellschaft, deren Normen und Werten zu synchronisieren und vor allem, um ihm abzutrainieren, ein Störenfried zu sein. Das Gewissen ist auch eine innere Kontrolle, ein Wächter der Gesellschaft in uns. Die Sozialkontrolle durch andere Menschen, insbesondere deren Gegenwart ruft die Bedeutung des Gewissens immer wieder hervor.

Nun gibt es leider Menschen, bei denen es mit der Gewissensbildung nicht so recht geklappt hat. Diese benötigen umso mehr Sozialkontrolle. Jetzt komme ich zurück zu den sozialen Netzwerken. Einige gewissenschwache Menschen enthemmen sich dort, da sie keine direkte menschliche Sozialkontrolle spüren und lassen ihren tiefsten urzeitlichen Gefühlen und Bedürfnissen freien Lauf. Sie benehmen sich unzivilisiert im wahrsten Sinne des Wortes. Der Prozess der Zivilisation hat bei ihnen nicht genügend angeschlagen. – Verzeihung, dass ich derbe Begrifflichkeit aus der Umgangssprache wähle, die aber m. E. oft langjährige gute psychologische Erfahrung ausdrückt: Diese Leute lassen hemmungslos die Sau (psychologisch: ihre animalischen Triebe) heraus.

Der Psychiater, dessen Patient auf der Couch Hemmungen verlieren soll, möchte die Seele des Patienten ergründen, um diesem die tiefsten Schichten der eigenen Seele bewusst zu machen und ihn von Leiden zu heilen. Die „Couch“ Internet kann das Gegenteil bewirken. Dem, der dort seine tiefen, oft negativen Gefühle verbreitet, steht keine menschliche direkte Hilfe und Kontrolle gegenüber. Dieser Internetnutzer fühlt sich kurzfristig befreit, hat Machtgefühle und Lustgewinn. Das verstärkt aber sein für andere unangenehmes Verhalten, da er den Lustgewinn immer wieder erleben will und da die zu Grunde liegenden Probleme nicht gelöst wurden, wie dies in einer Psychotherapie geschehen soll. Das unangenehme Verhalten wird um des Lustgewinns willen wiederholt und wiederholt. Wird der Nutzer noch durch andere Gruppen im Netz bekräftigt, so verfestigt sich elektronische Asozialität.

Text: UM

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