Tiere in der palliativen Begleitung

20. Dezember 2020

Sögel – „Ich lege die Hand des Sterbenden auf Oskars Fell, und dann passiert jedes Mal dasselbe: Die Menschen seufzen auf und fangen an, gleichmäßig zu atmen.“

So erlebt die ehrenamtliche Hospizhelferin A. Gorniak die Situation einer Begleitung, wenn ihr Hund Oskar (van Bekethal), ein Bolonka-Zwetna, sie auf ihre Einsätze – immer in Absprache mit den Betroffenen – begleitet.

Den Menschen und seine Zugehörigen in der letzten Lebensphase zu begleiten und dabei alle Bedürfnisse und Wünsche zu berücksichtigen, das ist die Aufgabe eines Hospizhelfers.

Wenn es sich dann um einen Menschen handelt, der in seinem Leben immer eine enge Beziehung zu Tieren hatte, versuchen wir dies in der Begleitung zu berücksichtigen und bringen dann, auf Wunsch und in Absprache z.B. den kleinen Oskar mit.

Aussagen über die Entwicklung der Mensch-Tier-Beziehung in Zusammenhang mit der Palliativmedizin und Palliativpflege hat es schon früh gegeben. In einem 12.000 Jahre alten Grab in Israel fand man einen verstorbenen Mann, dessen Hand auf die Schulter eines toten Hundes gelegt war. Dies kann als erster Fund bezeichnet werden, in der die Beziehung zwischen Mensch und Tier dargestellt ist (Olbrich, KDA, S.5). Tiere in den Prozess der Therapie mit einzubeziehen ist keine neu erfundene Methode.

Tiere tun (alten) Menschen gut. Nicht umsonst umgeben sich überall auf der Welt Menschen freiwillig mit Haustieren, die erst einmal keinen anderen „Nutzen“ als ihre pure Gegenwart aufweisen. 2017 lebten nach Angaben des Industrieverbandes Heimtierbedarf (IVH) e.V. und des Zentralverbandes Zoologischer Fachbetriebe Deutschlands e.V. (ZZF) 34,3 Millionen Hunde, Katzen, Kleinsäuger und Ziervögel unter deutschen Dächern. Hinzu kommen zahlreiche Zierfische und Terrarientiere. Fast jeder zweite Haushalt beherbergt ein Heimtier, wobei in jedem vierten die Tierbesitzer älter als 60 Jahre sind.

Tiere „wirken ganzheitlich“, das heißt auf der körperlichen, seelischen und sozialen Ebene. Denn während viele pflegende Familien sowie professionell Pflegende keinen Zugang mehr zu den Erkrankten haben, die scheinbar in ihrer ganz eigenen Welt leben, sind Tiere so etwas wie „Türöffner“: Sie finden Zugänge, die Menschen oft verborgen bleiben. Die Mitbewohner mit Fell, Federn und Flossen leben dort, weil viele Häuser unter bestimmten Voraussetzungen den Miteinzug eines geliebten kleinen Haustieres ermöglichen.

Die Begegnungen des Menschen mit einem Tier bewirken „Heilungsprozesse“, die auf komplex zusammenhängende physische, psychische und soziale Allgemeinzustands-verbesserungen zurückzuführen sind und deren Wirkungen ebenfalls auf den Sterbeprozess übertragen werden können (Claus 2003, Otterstedt  2003). Durch die Anwesenheit von Tieren äußern sich Empfindungen von Angst, Einsamkeit und Depression weniger stark (Francis et al. 2007; Brooks et al. 2008). Damit einhergehend senken Tiere die Herzschlagfrequenz sowie den Blutdruck von Menschen, sobald Tiere betrachtet oder berührt werden (Jenkins 1986, Wells 2009, Muschel 1984, Beck/Katcher 2003, Franklin et al. 2007, Otterstedt 2003).

Tiere sind wichtige palliative Ressourcen im Sterbeprozess. Sie ergänzen die Pflegetätigkeit des medizinischen Personals und die durch Angehörige und Personal nicht immer erfüllbaren Bedürfnisse von Sterbenden nach Nähe, Vertrautheit und alltäglichen Gewohnheiten. Tiere – sie sind stille Zuhörer, dem sich Sterbende meist intensiver anvertrauen als einem Menschen. Sie sind in ihren Berührungen vorsichtig und sanft, und sie können mit ihrer Nähe und Zärtlichkeit Belastungssymptome mindern und medikamentösen Einsatz verringern

Die Position der Tiere als selbstverständliches Element der Sterbebegleitung, z. B. als sozialpsychologische Kommunikatoren und stille Begleiter, anzuerkennen, und diese aktiv im Hospiz, Altenheimen oder der häuslichen Pflege einzubinden, ist ein gewinnbringender Aspekt.

Tiere und Menschen werden im Sterbeprozess in der Regel voneinander getrennt (Stang 2011). Im Krankenhaus oder Altenheim, den häufigsten Sterbeorten in Europa (Thönnes/Jakoby 2011, Dasch et al. 2015), ist der Sterbeprozess und sind die darin agierenden Akteure an einen institutionell bedingten Rahmen gebunden (Streckeisen 2005). Dabei wird kaum thematisiert, um welche vertrauten Bedingungen und wichtige Bezugspersonen es sich hierbei handelt. So zeigt sich, dass Haustiere Bedeutung für die Alltagswelt der Individuen haben, da sie als Teil der Familie, Verwandtschaft bzw. des sozialen Netzwerkes betrachtet werden (Charles/Davies 2008, Trost 1990, Walsh 2009b, Wolf 2004).

Tiere sind ein wesentlicher Bestandteil unserer Kultur und im Verlauf der menschlichen Biografie in Kinderbüchern, Filmen, als Stofftiere, Haus- oder Nutztiere omnipräsent (Beck/Katcher 2003, Janshen 1996, Meyer 2000, Walsh 2009). Seit den 1980er Jahren stieg die Anzahl der Studien zu den Effekten von Tieren auf das Allgemeinbefinden, die Zufriedenheit und Aktivitätsbereitschaft von Menschen und rechtfertigen den Einsatz von tiergestützter Pädagogik und Therapie, vor allem bei Kindern und Jugendlichen (Ormerod 2005, Walsh 2009, Vollenwyder 2013). In der Betreuung und Aktivierung von demenziell erkrankten Personen werden die nonverbalen Zugangsmöglichkeiten und sinnliche Ansprache durch Tiere bei Menschen mit zerebral bedingten isolierten Kommunikationsmöglichkeiten genutzt (Hegedusch/Hegedusch 2007).

In verschiedensten Begleitungssituationen zeigt sich, dass es bei den Patienten im Umgang mit den Tieren um die Verbesserung des seelischen Wohlbefindens und die Förderung der Kommunikation in einer das Leben bedrohenden Situation geht. Das Tier kann Trost spenden, als vermittelndes Medium die Kommunikation zwischen allen Beteiligten erleichtern und letztlich auch Hilfe bei der Trauerarbeit leisten. Tiere können somit auch „Brückenbauer“ bei schwierigen Kommunikationssituationen sein. Tiere haben einen schnelleren Zugang zu den Menschen und haben eine beruhigende Wirkung. Sie kommunizieren auf einer Ebene ohne Worte intuitiv mit ihrer Körpersprache und Lautgebung. Der Kontakt kann dem Patienten körperlich guttun und seelisch berühren – ohne Worte. Erinnerungen werden wach, Entspannung tritt ein und Gespräche werden möglich. Gerade in der Palliativpflege ist die verbale Kommunikation mit der Patientin/dem Patienten oftmals nicht ganz einfach; der Hund kann dabei eine wichtige Vermittlerrolle in der Kommunikation übernehmen. Er ist in der Lage, die menschlichen Signale innerhalb kurzer Zeit zu verstehen und so mit der Patientin/dem Patienten in Kontakt zu treten. Dadurch fühlt sich der Mensch verstanden und bestätigt (Otterstedt 2001, S.138). Die nonverbale Kommunikation funktioniert zwischen Hund und Mensch sehr gut, da der Hund auf Gestik, Mimik und die Körperhaltung reagiert. Der Hund versteht zwar nicht die Gefühle des Menschen, aber er kann durch die Körpersprache gezielt auf die Person reagieren. Je klarer diese Körpersprache ist, desto besser kann der Kontakt zwischen Mensch und Tier funktionieren. In der Palliativpflege ist die Kommunikation mit Patient/inn/en oft nicht einfach, hier bewirkt ein Hund manchmal mehr als ein/e Besucher/in.

Durch Berührung und durch das Kontaktliegen wird das körperliche Empfinden der Patienten stimuliert und gefördert. „Wir erleben berührende und schöne Momente. Mit ihrer unglaublichen Sensibilität können Tiere/Hunde für schwerkranke Menschen eine wichtige Stütze sein“, berichtet A. Gorniak. Insbesondere das Kontaktliegen ist eine meist als angenehm empfundene Form der basalen Stimulation, bei der der Patient das Fell, die Wärme des Tieres, die Atembewegung und dessen Herzschlag neben sich im Bett wahrnehmen kann. Voraussetzung für den Einsatz der Therapiehunde ist der explizite Wunsch der Patienten oder der Angehörigen.

Der Hygienestandard muss eingehalten werden. Die Tiere müssen strengen Kriterien entsprechen, ihr Wesen muss friedlich, freundlich, zutraulich und menschenbezogen sein, um sie in der Therapie einsetzten zu können. Die Hygienemaßnahmen und Wesenseigenschaft des Tieres sind ausschlagegebend für die Ausbildung zum Therapietier. Zu den Hygienemaßnahmen gehört der Gesundheitsnachweis, der nicht älter als sechs Monate sein darf. Die Therapietiere müssen in regelmäßigen Abständen kontrolliert werden, dabei muss ein aktueller Gesundheitsnachweis abgegeben werden. Die Anforderungen an das Wesen des Tieres sind Menschenfreundlichkeit, absoluter Gehorsam sowie Sicherheit bei Geräuschen. Haustiere sind in einem Krankenhaus nicht erlaubt. Allerdings gibt es auf vielen Palliativstationen Ausnahmeregelungen: Hier dürfen Haustiere zu den Patienten. Die Therapie- oder Begleithunde sind darüber hinaus durch ihren Einsatz am und sogar im Bett der Patienten besonders gepflegt. Diese Hunde unterliegen noch weiteren besonderen hygienischen Anforderungen. Sie werden regelmäßig entwurmt, geimpft, auf Krankheiten untersucht und sind natürlich unter tierärztlicher Kontrolle, was ihren Einsatz sogar auf allen Stationen – außer OP und Intensivstation – im Krankenhaus möglich macht.

„Therapie- oder Begleittiere“ sind jene Tiere die dem erkrankten Menschen helfen, positive Gedanken zu sammeln und körperliche oder psychische Hürden zu überwinden. Im Allgemeinen eignen sich vor allem Hunde und Katzen, aber auch Kleintiere wie Kaninchen, Meerschweinchen, Ratten und Nutztiere wie Pferde, Schafe, Lamas und Ziegen. Im Palliativbereich werden vor allem Hunde eingesetzt. So freuen wir uns sehr und bedanken uns, dass unsere ehrenamtliche Mitarbeiterin A. Gorniak ihren Oskar mit zu den Begleiteten nimmt und sie bzw. Oskar immer wieder ein zufriedenes Lächeln in ihre Gesichter zaubern kann.

Der Hund ist heute oft ein sehr gern gesehener Gast. Denn in tiefster Verzweiflung lässt er sich einfach in den Arm nehmen und fordert keine Erklärung für die vorhandene Stimmung der Patientin/des Patienten.

Steffie Olliges  Sögeler Hospiz e.V.

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