Corona – Zeit für die Erkenntnis
15. November 2020Dem Philosophen Hegel wird der Satz zugeschrieben: „Die Eule der Minerva beginnt ihren Flug in der Abenddämmerung.“ Minerva war das römische Gegenstück zur griechischen Göttin Athene. Letztere bildete als Kopfgeburt von Göttervater Zeus unter anderem die Patronin der Weisheit. Diese Zuständigkeit wurde auf Minerva übertragen. Beider Symbolvogel war die Eule. Mit dem Gleichnis, sie beginne den Flug in der Abenddämmerung, wird ausgedrückt, dass man ein Phänomen erst richtig und umfassend beurteilen könne, wenn es abgeschlossen oder zumindest sehr weit fortgeschritten sei.
Bei dem Wissensgewinn über das Coronavirus, seine Spielarten, Folgen und Bekämpfung hat die Eule sich vermutlich gerade mal erst auf ihrem Ansitz geräkelt, um sich für den Abflug fertig zu machen. Wissenschaftliche Erkenntnis über ein so vielschichtiges Phänomen wie die Coronapandemie braucht Zeit und viel Arbeit. Es müssen plausible Vermutungen (Hypothesen) gebildet werden. Sie müssen im wissenschaftlichen Meinungsstreit mit Experimenten und Beobachtungen überprüft werden. Dabei führt auch so manche Vermutung in die Irre oder verfügt nur für eine begrenzte Zeit über Gültigkeit. Stück für Stück kristallisieren sich aber Hypothesen heraus, die erfolgreich auf der Suche nach der Wirklichkeit des Virus sind und damit seine wirksame Bekämpfung ermöglichen. Es gibt sicherlich gelegentliche Geistesblitze, die zu guter Erkenntnis führen, oder zufällige positive Funde, nach denen man gar nicht gesucht hatte, sogenannte Serendipitäten, wie die Entdeckung des Penicillins. Auf solche Zufälle kann man sich aber nicht verlassen. Der beste Weg zu nützlicher wissenschaftlicher Erkenntnis bleibt steinig, langwierig und mühsam. Es schadet nicht, wenn viele Wissenschaftler, Labore, Bundesländer und Staaten auf der Suche nach dem richtigen Umgang mit der Pandemie bei einem Mindestmaß an Grundübereinstimmung (z. B. Masken- und Abstandspflicht) auf unterschiedlichen Wegen sind, solange sie dies mit wissenschaftlich exakten Methoden tun. Es könnte sein, dass aus dieser Vielfalt eine Methode als die beste hervorgeht. Hier gelten die zwei Volksweisheiten, dass gut Ding Weile braucht und viele Hunde des Hasen (lies: Virus) Tod sind.
Text/Bild: UM