Bangladesch – ein aufstrebendes Armenhaus? Teil 2

4. Juni 2020

Verläßt man Dhaka auf der fünf Kilometer langen Brücke über die Jamuna, Hauptstrang des Bhramaputra, durchquert man neben vielen uns unbekannten Großstädten ländliches Bangladesch. Die Landschaft wird parzelliert von vielen Reisfeldern, Seen, Baumgruppen, Bananen- und sonstigen Obstplantagen, Hütten und kleinen Weilern. Überall Grün und überbordende Vegetation. Wegen der Kleinteiligkeit des kultivierten Landes wirkt alles tropisch-ursprünglich.

Man erreicht eine der ältesten archäologischen Sehenswürdigkeiten des Landes, die bis ca. 700 v. Chr. dokumentierte Stadt Pundravardhana. Sie bildete die Residenz verschiedener buddhistischer und hinduistischer Herrscher und wurde beschützt durch eine Mauer von 1,5 km Seitenlänge mit vier Toren. In der Mitte erhob sich eine Zitadelle. Viele Funde außerhalb verweisen darauf, dass es sich bei dem Ort um eine Großstadt handelte.

Dinajpur im Nordwesten des Landes gehörte bis ins 18. Jahrhundert zum Königreich Pundravardhana. Hiervon zeugen Palastanlagen, die langsam romantisch überwuchert werden. Nördlich der Stadt muss man den Tempel Kantaji besuchen. Er ist ein hervorragendes Beispiel für Terracotta Architektur. Die ganze Außenwand stellt mit erhabenen Reliefs auf Terracotta Fliesen Szenen aus den indischen Epen Mahabaratha und Ramayana dar. Um den Tempel herum ist ein Jahrmarkt mit Verkaufsbuden, Restaurants, Schlangenbeschwörern und Zirkus entstanden. Der Tempel gilt Hindus, Buddhisten und Moslems als Pilgerziel. Nahebei bewacht eine alte Frau einen Krishnatempel und eine ehrwürdige Moschee spiegelt sich in einem See.

Etwa 100 km südlich von diesem Ensemble gelangt man zum Unesco Weltkulturerbe Somapura Mahavihara (Sanskrit: großes Kloster). Dieses Kloster war im 8. Jahrhundert und danach geistiges Zentrum für Buddhisten, Jaina und Hindus. Es soll das schönste in ganz Südasien gewesen sein. Das eigentliche Kloster umgibt ein quadratisches Mauergeviert von 307 m Seitenlänge, zugleich Herberge von 177 Zellen. Die Anlage ist eingebettet in einen gepflegten Park. Ein Museum stellt interessante Fundstücke aus.

Im südlich am Ganges gelegenen Rajshahi finden sich mit den Resten eines Forts Belege für die Anwesenheit der Holländer. Überquert man den Ganges mit einem Boot, trifft man auf die indische Grenze. Der Ort ist Sitz einer der ältesten Universitäten des Landes. Eine Gedenkstätte auf deren Gelände weist auf die immensen Gräueltaten Westpakistans im Unabhängigkeitskrieg des damaligen Ostpakistan hin.

 Obwohl vieles zerstört wurde, blieb fünfzig Kilometer östlich bei Natore ein erstaunlicher Palastbezirk einigermaßen erhalten. An einem See trifft man umgeben von üppiger Vegetation auf ein großes Areal mit Palästen, Häusern und Tempeln. Vor allem ein Palast aus dem 19. Jahrhundert ruft Erstaunen, fast Fassungslosigkeit hervor. Er prunkt regelrecht mit einem Sammelsurium europäischer Baustile. Korinthische Säulen mit Putti in den Arkantuskapitelen, klassische Formen, italienische Spätrenaissance mit Anklängen an den Baumeister Palladio, umlaufende Friese, barocker Figurenschmuck, alles paßt in die tropische Umgebung wie die Faust aufs Auge und bildet dennoch oder deshalb ein Erlebnis. Ein weiterer Palast mit Porticus aus Doppelsäulen wirkt in der Aufsicht fast römisch. Ins Hier und Jetzt zurück gerufen wird man mit einem Schiwaheiligtum, ein Tempel in der Form einer Eisbombe. Er wird von einem schweigenden Saddhu – so etwas Ähnliches wie ein lebender Hinduheiliger – bewacht.

Das nächste Ensemble von imposanten Bauten findet sich im nahe gelegenen Dorf Puthia. Dieses kleine Dorf beherbergt neben verschiedenen alten Ruinen einen Palast mit protzigem Säulengang, einen Durgatempel aus dem 18. Jahrhundert, in dem die Göttin mit ständig wechselnden Neonfarben dargestellt wird und dessen Außenwände skulptierte Terracottafliesen mit Szenen des Ramayana zieren. Darüber hinaus schmückt den Ort über ein Dutzend weiterer Tempel und Moscheen.

Auf der Fahrt nach Khulna im Süden findet man in ländlicher Umgebung bei Jhenida versteckt sieben von ehemals acht Tempeln aus dem 17./18. Jahrhundert. Einige sind der Göttin Kali gewidmet. Dort wird heute noch gebetet und geopfert.

Weiter südlich am Rande der Sundarbans gibt es das Unesco Weltkulturerbe Bagerhat zu entdecken. Der Ort wird wegen seiner vielen Moscheen aus dem Spätmittelalter als verlorene Stadt in einem Atemzug mit dem vorrömischen Karthago, Petra in Jordanien oder Pompeii genannt. Dabei fällt die 60-Säulen-Moschee mit 80 Kuppeln in einem Park besonders auf. Spaziert man von dort aus an einem Teich entlang, so erlebt man dörfliches unverfälschtes Leben und findet immer wieder im Gebüsch eine weitere alte Moschee. An einem weiteren Teich wird es für unseren westlichen Geschmack skurril. Neben Grabmälern für Ortsheilige werden zwei heilige Krokodile in dem See verehrt. Damit sie nicht Gläubige, die baden und sich rituell waschen, verzehren, wie bereits geschehen, werden die Reptilien ständig mit Hühnern gefüttert. Diese gelten evtl. auch als Opfer.

Bei den Sunderbans handelt es sich um ein 10 000 qkm großes Dschungel- und Mangrovensumpfgebiet, das sich Indien und Bangladesch teilen. Es ist von einem Gewirr unzähliger Fluss- und Bachläufe durchzogen. An den Ufern entdeckt man Axishirsche, Wildschweine, Affen, Warane, mit Glück ein Krokodil. Der Bengaltiger zeigt sich nur selten. Das ist wohl gut so. Denn jeden dritten Tag soll er einen Menschen reißen. Man sollte eine mehrtägige Schiffsreise in den Sunderbans unternehmen, um die Stimmungen vom nebligen Morgen bis in die Sternennacht mit allen Urwaldgeräuschen zu erleben.

Damit der Wechsel aus unberührter, ruhiger Natur in das Gewimmel der Städte nicht zu krass wird, bietet sich ein Spaziergang durch eins der vielen malerischen, ursprünglichen Fischerdörfer am Rande der Sunderbans an.

Die Rückkehr nach Dhaka mit einer Nachtfähre auf dem Ganges verschafft eine weitere Gelegenheit, in  das volle einheimische Leben  einzutauchen. Am Kai drängen sich Händler und Essensverkäufer, um die Passagiere zu versorgen. Bis zum Ablegen nutzen Garküchen an Bord die Chance, noch etwas zu verdienen. Die meisten Passagiere haben keine Kabinen gebucht. Sie rollen auf den Zwischengängen Matratzen aus, um dort dicht gedrängt zu schlafen. Da kommt man sich in einer Kabine richtig einsam vor.

Text/Bild: UM

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