Aus dem Brief von Pfarrer Georg Wolters zu den letzten Kriegstagen in Sögel

4. Juni 2020

Sögel – Bei der Befreiung der Gemeinde Sögel aus der Diktatur kamen bei einem Bombenangriff der Kanadier am 08. April 1945 zwölf Zivilisten ums Leben. Am 09. und 10. April 1945 starben acht kanadische Soldaten bei einem Wehrmachtsangriff. Der Kampf dauerte bis in die späten Vormittagsstunden an und bedeutete schwere Folgen für die Sögeler Bevölkerung.

Der damalige Pastor Georg Wolters schrieb am 13. Mai 1945 einen Brief an den Osnabrücker Bischof Dr. Wilhelm Berning, in dem folgende Zeilen die Sachlage schilderten: „Die Kanadier hatten keine Wachen aufgestellt vor dem Dorf und wurden somit völlig überrascht. Es war ein buntes Kampfbild. Einzelne Keller waren von Deutschen besetzt, die von Kanadiern belagert waren, und auch umgekehrt. Bis zum Pfarrhause waren einzelne deutsche Soldaten vorgedrungen. Vom Pfarrhause aus hielten etwa 12 Kanadier die Straße um den Marktplatz unter Feuer. […] Sie glaubten, dass die Einwohner mit den deutschen Soldaten gemeinsame Sache gemacht hätten, weil diese ja in den Kellern und Scheunen sich festgesetzt hätten.“ Ein weiteres Indiz zu dieser Annahme war die Tatsache, dass viele der deutschen Soldaten sehr junge Männer waren, die keine erkennbare militärische Uniform trugen. Am Nachmittag des 10. April 1945 durchkämmten die kanadischen Soldaten die Häuser in der Gemeinde Sögel nach Widerstandsnestern und versprengten deutschen Soldaten. Sie fanden eine Menge zurückgelassener Munition und automatischer Waffen. Die Männer, Frauen und Kinder aus den verschiedenen Ortsteilen wurden zum Kirchplatz getrieben und mussten dort niederknien. Die Kanadier bewachten die gefangenen Soldaten und Sögeler Männer in einem „POW-Cage“ (Prisoner of War – Kriegsgefangenenplatz), der sich neben der Kirche befand. Pfarrer Wolters handelte aus, dass Frauen, Kinder und ältere Männer sich in die Kirche begeben durften. Der kanadische Kommandant soll auf seinem Sterbebett angeordnet haben „50 Sögeler Männer zu erschießen, hinzurichten oder das ganze Dorf zu sprengen“. Zu diesem Zeitpunkt ahnte niemand, dass er überleben würde. Zeitzeugenaussagen belegen, dass sich die Männer zweimal der Reihe nach an die Wand stellen mussten. Jedoch durften diese kurze Zeit später ebenfalls die Kirche betreten. Berichten zufolge planten die Kanadier, die Kirche mit den Einwohnern des Ortes zu sprengen. Sie ließen aber am Abend alle Personen wieder in ihre Häuser zurückkehren. „Auf den Punkt gebracht kann man sagen: Bei den Kanadiern lagen die Nerven blank und die Sögeler mussten Todesängste ausstehen“, sagt Bernd Eggert, Vorsitzender des Forum Sögel. Pfarrer Wolters schrieb zu diesem Ereignis in seinem Brief an den Bischof: „Viele kehrten zurück in die Kirche, da die Häuser zerstört waren, die Kanadier sie nicht in die Häuser ließen oder die Menschen Angst hatten, weil sie in der Umgebung ihrer Häuser betrunkene Soldaten vorfanden. In der Kirche übernachteten 400 bis 500 Menschen. Das Pfarrhaus war ebenfalls völlig belegt.“ Am nächsten Morgen, dem 11. April 1945, unternahmen die Kanadier eine weitere Strafaktion und sprengten die Häuser der Einwohner. Sie forderten die Bewohner auf, ihre Häuser innerhalb von kürzester Zeit zu verlassen. Es blieb ihnen kaum Zeit, die wichtigsten Gegenstände und Unterlagen einzupacken. Die Sprengungen begannen im Nordend. Die Bevölkerung flüchtete in die umliegenden Wälder. Gegen Mittag begannen Pfarrer Wolters und der durch die Kanadier wieder ins Amt berufene Bürgermeister Josef Möhlenkamp mit den Kanadiern über die Sprengungen zu verhandeln. Bis in den Abend hinein stand jedoch kein verantwortlicher Ansprechpartner zur Verfügung. Die Sprengungen hingegen wurden fortgesetzt. Wolters schreibt über diese Stunden: „Die Sprengungen hatten einen größeren Umfang angenommen. Spät am Abend wurde noch das dem Pfarrhause gegenüberliegende große Haus des Bauern Meyer gesprengt. Bei dieser Gelegenheit erfuhr ich, dass das Sprengkommando noch Befehl hatte, an demselben Abend die ganze Bahnhofstraße zu sprengen. Dies unterblieb, weil es schon stark dunkelte. Am folgenden Morgen nach mehreren Besprechungen sagte man mir, dass der Plan bestände, das ganze Dorf mit Ausschluß der Kirche selbst, des Krankenhauses und des daneben liegenden Kindergarten zu sprengen. Man hoffe aber, dass es nicht soweit kommen würde.“ Am Vormittag des 12. April 1945 sollte es doch noch zu einem Gespräch mit dem höchsten Kommandeur kommen, der zum vereinbarten Zeitpunkt jedoch schon abgefahren war. Wolters führt in seinem Brief zum weiteren Verlauf des Tages aus: „Wir konnten nur noch den Adjutanten sprechen. Klare Versprechungen wurden nicht gegeben. Im Laufe des Nachmittags wurde dann gesagt, es bestände 80 Prozent Wahrscheinlichkeit, dann später 90 Prozent, daß nicht mehr weiter gesprengt werden würde. Inzwischen waren morgens noch Häuser an der Hauptstraße, die am Tage vorher noch stehengeblieben waren, gesprengt. Ein Haus hatte am Tage vorher noch als kanadisches Lazarett gedient. Gegen 5 Uhr traf der Ortskommandant ein, der mich aus der Kirche holen ließ. Er verlangte als erstes Unterkunft bis zum folgenden Tage für 300 Fremdarbeiter. Auf meine Erklärung, daß es keinen Zweck hätte zu verhandeln, solange nicht die Sprengungen eingestellt seien, erklärte er dann, ich könne bekannt geben, daß die Sprengungen hiermit beendet seien, wenn keine weiteren Zwischenfälle einträten.“ Mit diesen mutigen Worten bewirkte Pfarrer Georg Wolters, dass die Sprengungen in Sögel ein Ende nahmen und hat dadurch weiteres Unheil verhindert. Auf dem heutigen Jakobus-Platz vor der katholischen Sankt Jakobus Kirche steht ein Denkmal in Form eines großen Steines, das den Einsatz Wolters für die Einwohner Sögels im April 1945 ehrt.

Text: Marina Heller

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