Mangelware: Atemschutzmasken

1. Mai 2020

Sögel – Wie reagieren Patienten, die die Atemschutzmasken dringend benötigen?

Sögel. Was es für Betroffene bedeutet, aufgrund der Corona-Krise nicht mehr an medizinische Hilfsmittel zu kommen, schildert uns der Fall von Hubert Lietz (62) aus Sögel.  Die Coronakrise stellt das Leben von Hubert Lietz seit seiner Leukämieerkrankung immer wieder auf die Probe. Denn er benötigt Atemschutzmasken, um wenigsten teilweise am öffentlichen Leben teilnehmen zu können.

Doch von Anfang an: Hubert Lietz hat am 1. Januar 2018 nach einem 10-tägigen Krankenhausaufenthalt im Hümmlinghospital Sögel die Diagnose „Verdacht auf Leukämie“ bekommen. Am 4. Januar bestätigten Folgeuntersuchungen im Oldenburger Krankenhaus die Diagnose. Eine Welt brach für den Maschinenschlosser und seiner Ehefrau zusammen. Ein Untersuchungs- und Behandlungsmarathon setze sich in Gang. In fünf Sequenzen für jeweils ca. drei Wochen erhielt er in Oldenburg Chemotherapien. Seine Frau Ingrid Brelage-Lietz begleitete ihn dabei.  Sie erinnert sich: „In dieser Zeit haben wir einfach nur funktioniert. Mein Alltag bestand aus Fahrten nach Oldenburg und die Versorgung meines Haushaltes. Für andere Dinge war keine Zeit übrig.“ Auch Lietz schildert diese Zeit als eine Zeit der extremen Belastung: „Ohne meine Frau hätte ich das nicht geschafft!“ Nach den Behandlungen wurde er im Juni 2018 als geheilt entlassen. Es folgte ein Reha-Aufenthalt.

Am 8. Mai 2019 wurde ihm nach einer Kontrolluntersuchung ein Rückfall diagnostiziert. „Herr Lietz, mit ihren Blutwerten stimmt was nicht“, dieser Satz brannte sich bei ihm ins Gedächtnis ein. Es folgte ein Krankenhausaufenthalt mit begleitender Chemotherapie. Doch die Ärzte stellten klar: „Ohne Knochenmarktransplantation schaffen Sie es nicht.“ Ein Spender wurde gefunden und am 27. September erhielt Lietz unter großer Ehrfurcht und Dankbarkeit eine Knochenmarkspende. Es folgte ein fünfwöchiger Aufenthalt in der Isolierstation. „Ich war in Quarantäne. Nicht mal ein Fenster durfte geöffnet werden.“ „Diese Zeit habe ich gut überstanden. Meine Frau brachte mir regelmäßig neue Gemeinschaftsspiele mit und auch Spiele, die ich alleine spielen konnte. Es kamen nur Spiele in betracht, die eine vorherige Desinfektionsmaßnahme überstehen konnten, also abwaschbare Materialien.“ Er war dankbar für alles. „Wenn man eine Krankheit hat wie ich es habe, steht man auch im ständigen Kontakt zu Mitpatienten, die mit einem das Schicksal teilen. Es gibt viele große emotionale Momente. Momente des Abschieds infolge des Versterbens des Mitpatienten gleichermaßen wie der hoffnungsvolle Abschied nach einer beginnenden Genesung und der damit verbundenen Entlassung aus dem Krankenhaus.“ Am 21. Oktober 2019 durfte Hubert Lietz nach Hause. Seine Frau hatte die Wohnung inzwischen keimarm eingerichtet. Keine Teppiche, keine Pflanzen, kein Dekomaterial, keine Gardinen – um Grunde nichts, was nicht desinfiziert werden kann. “Überall, wo sich staub absetzen kann und die Fläche nicht feucht zu desinfiziert werden kann, können Keime lauern.“  In der Wohnung herrschen Quarantänebedingungen – das Ehepaar hält sich strikt an die dafür vorgesehenen Regeln.

Seit seiner Entlassung im Herbst hatte Lietz sich so nach und nach wieder Freiheiten einräumen können. Zuletzt ging er bereits mit Atemschutzmaske einkaufen und im Wald spazieren. Doch bedingt durch die Coronakrise ist der Markt seit einigen Wochen für die dafür notwendigen FFP2-Atemschutzmasken wie leergefegt oder es werden hanebüchene Preise dafür genommen. Selbst in Apotheken oder beim Arzt wurde Lietz nicht fündig. Lietz drohte die häusliche Quarantäne. Doch seine Frau ließ sich etwas einfallen. Sie startete einen Aufruf in der Facebookgruppe „Leukämieerkrankte und Angehörige“ und schilderte ihren Notstand. Eine Frau aus dem Harz, die bereits vor vielen Jahren genesen ist, hatte noch Restbestände der Atemschutzmasken zuhause und sendete diese unmittelbar per Post nach Sögel. „Nicht mal Geld wollte sie für die 20 Atemschutzmasken haben“, zeigt Brelage-Lietz sich gerührt. Aus Dankbarkeit habe sie der Frau ein passendes Geschenk zugesandt.

Mit den nun zu verfügenden Atemschutzmasken geht Lietz ganz sorgsam um. Sie kommen nur draußen zum Einsatz und werden von ihm mit einem weiteren Fließ unterlegt, um die Haltbarkeit zu verlängern. In Geschäften mag er sich damit allerdings nicht mehr sehen lassen. „Die Passanten haben regelrecht Angst vor mir, weil sie denken, dass ich eine Corona-Infektion habe.“ Auf direkte Fragen antwortet er: „Corona, nein, ich habe Krebs.“ Meist folgt dann ein betretendes Schweigen oder eine betroffene Entschuldigung. „Kann ja auch keiner Wissen“, regt sich Lietz nicht besonders auf. Trotzdem hält er sich jetzt lieber einfach nur im nahegelegenen Wald.

Das Ehepaar hofft, mit den vorhanden Masken erst einmal über die Runden zu kommen. Sobald der Körper das fremde Knochenmark gut angenommen hat und die Blutwerte stimmen, kann Lietz sich auch ohne Atemschutzmaske draußen aufhalten. Darauf freut er sich. „Ich plane eine fünftägige Pilgerfahrradtour entlang der Nordseeküste.“ Am meisten freut er sich aber darauf, dass seine drei Kinder ihn dann wieder besuchen dürfen und dass er dann einfach mal mit dem Rad zum Bäcker fahren kann um eine frischgebackene Hefeteig-Schnecke an Ort und Stelle zu verzehren.

Foto/Text: Ingrid Cloppenburg

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