Maßnahmen zur Prävention vor menschenverachtendem Gedankengut am Hümmling-Gymnasium

15. März 2020

Sögel – Mit der Überschrift Nazi-Sprüche und Hitlergruß im Klassenchat erschien Anfang Dezember 2019 ein Artikel in der Ems-Zeitung, in dem auf Vorkommnisse dieser Art auch am Hümmling-Gymnasium verwiesen wurde. Die rechtlich notwendige, schnelle Reaktion der Schulleitung, die sich sofort mit der Polizei in Verbindung setzte und um Informationen und Rückhalt im Hinblick auf wirkungsvolle, präventive Maßnahmen bat, stieß bei den betroffenen Heranwachsenden zunächst auf Unverständnis, denn rassistisch oder extremistisch konnotierte Bilder in sozialen Netzwerken entlocken manchem Jugendlichen heute nur ein müdes Lächeln, während Erziehungsberechtigte und Lehrkräfte ihre Fassungslosigkeit kaum verbergen können.

Grenzverletzungen der Menschenwürde werden von Heranwachsenden oft nicht als solche erkannt. Daher fühlen sie sich von der strafrechtlichen Seite, dass es verboten ist, Schriften und Symbole zu verbreiten bzw. öffentlich zugänglich zu machen, die für verbotene Parteien oder Vereinigungen stehen (Paragrafen 86 und 86a StGB), nicht angesprochen und erfassen auch nicht, dass sie gegen Paragraf 130 StGB verstoßen, der besagt, dass niemand gegen Teile der Bevölkerung zur Gewalt aufrufen oder ihre Menschenwürde angreifen darf.

Diese Reaktionen der Heranwachsenden belegen, dass Prävention dabei sowohl für den schmalen Grat zwischen Humor, Satire und Menschenverachtung sensibilisieren als auch über rassistisch und extremistisch orientierte Ideologien aufklären muss.

Prävention ist ein Sammelbegriff und bezeichnet alle Maßnahmen, um Risiken für bestimmte Entwicklungen zu verhindern bzw. zu vermindern. Im Hinblick auf gewaltverherrlichende und extremistische Tendenzen wird von präventiven Maßnahmen erwartet, dass sie den sich permanent verändernden gesellschaftlichen und medialen Entwicklungen und Strömungen Rechnung tragen. Nicht gemeint mit Prävention ist, mit strengen, unveränderlichen, starren Regeln ein Verhalten einzufordern, das als gesellschaftlich akzeptabel gilt.

Basis des Präventions- und Lebenskompetenzprogramms am Hümmling-Gymnasium ist das Lions-Quest-Programm, das zielgerichtet und nachhaltig die Resilienz junger Menschen zwischen 10 und 21 Jahren stärkt und sich positiv auf deren Persönlichkeitsentwicklung auswirkt. Dass dieses Ziel nicht immer und in ausreichendem Maße erzielt wird, zeigen oben angesprochene Vorkommnisse im Zusammenhang mit Whatsapp-Nachrichten, die unreflektiert weitergeleitet wurden.

Im schulischen Bereich stellen eine sichere Lernumgebung, Möglichkeiten zur positiven Identifikation, das Gefühl, ernst genommen zu werden sowie die diversitätssensible Klärung von Konflikten bedeutsame präventive Faktoren dar. Maßnahmen, die alle Schülerinnen und Schüler adressieren, die erwünschte Haltungen bestärken und ein freiheitliches und weltoffenes Schulklima befördern, können präventiv gegen extremistische, gewaltverherrlichende und rassistische Tendenzen wirken.

Getragen werden müssen diese präventiven Maßnahmen von dem Wissen um historische Zusammenhänge sowie der Förderung von Demokratiebildung und -erziehung.

Aus diesen Überlegungen heraus wird das Präventionskonzept des Gymnasiums regelmäßig evaluiert und sowohl im Hinblick auf die Persönlichkeitsentwicklung fördernde, gesellschaftlich und historisch relevantes Wissen vermittelnde als auch die Medienkompetenz stärkende Aspekte hin analysiert und aktualisiert.

Entsprechend wird das bestehende Konzept, das ab Jahrgang 6 durch die verpflichtende Office-AG in die Mediennutzung einführt und in den Fächern Religion und Geschichte ab Klasse 5 bereits auf die Vielfalt der Religionen und in späteren Jahrgängen besonders auf Ausgrenzungen und Antisemitismus eingeht, unter anderem erweitert, indem die Lions-Quest-Einheiten deutlicher die Mediennutzung integrieren, bereits ab Klasse 5 sowohl die Eltern als auch die Schülerinnen und Schüler über Mediennutzung und speziell über Cybermobbing von Polizeioberkommissarin Vinke der Polizei Papenburg informiert und die Kinder ab Jahrgang 5 auf Augenhöhe mit ausgebildeten Medienscouts über die Vor- und Nachteile gängiger Medien diskutieren werden. Gleichzeitig wird die Geschichtswerkstatt Forum Sögel im Rahmen ihrer Kooperation mit dem Hümmling-Gymnasium zusätzlich zu etablierten Projekten in den fünften und sechsten Klassen Einheiten zum Thema Ausgrenzung durchführen.

Sehr konstruktive Gespräche zu diesem Vorhaben wurden gemeinsam mit ehrenamtlichen Mitarbeitern des Forums Sögel, der Kriminalpolizei und Lehrkräften des Gymnasiums in den Räumen der Geschichtswerkstatt, die interessierte Eltern, Kinder und Jugendliche gerne willkommen heißt, geführt und in der Folge wurden bereits zwei Projekte mit zwei sechsten Klassen durchgeführt, die auf großes Interesse der beteiligten Schülerinnen und Schüler stießen.

Um eine Sensibilisierung im Hinblick auf rechtsextreme Symbolik zu erreichen, wird unter anderem im Fach Geschichte und über entsprechende Lektüreauswahl im Fach Deutsch schon in den unteren Klassen der Nationalsozialismus in altersgerechter Form thematisiert und in den Folgejahrgängen durch weitere Besuche in der Geschichtswerkstatt sowie Informationsstunden im neunten Jahrgang mit Kriminalhauptkommissarin Spiegelberg vom Präventionsteam Lingen der Polizeidirektion Osnabrück vertieft werden.  Das Lions-Quest-Programm „Erwachsen werden“ wird ab Klasse 9 um das Programm „Erwachsen handeln“, das sich wesentlich der Demokratieerziehung widmet, erweitert werden.

Bei diesen Präventionsmaßnahmen geht es vorrangig um Haltungen und Einstellungen, die sich in Unterrichtsvorhaben und Projekten widerspiegeln. Für die Prävention junger Menschen vor extremen menschenfeindlichen Ideologien sind aber besonders die Erfahrung von Wertschätzung und Anerkennung, Gefühle der Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft und eine Orientierung bei der jeweils eigenen Identitätsentwicklung, die der sozialen, sprachlichen, religiösen, weltanschaulichen, ethnischen und kulturellen Vielfalt der Kinder und Jugendlichen Rechnung trägt, von zentraler Bedeutung. Die Schule als Institution, in der Kinder und Jugendliche einen Großteil ihrer Zeit in Gemeinschaft mit anderen verbringen, spielt hierbei, neben Elternhaus und Peer-Group, eine zentrale Rolle. Dabei sind es nicht einzelne Projekte, die entscheidend sind, sondern gelebter Alltag.

Text: Johanna Pieper-Fiegert, Studiendirektorin am Hümmling-Gymnasium

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