Vietnam – Vom Norden in den Süden – Teil 1

5. Mai 2019

Die meisten der etwas Älteren können sich noch aus den Berichterstattungen über den Vietnamkrieg an viele Ortsnamen dieses Landes erinnern und verbinden mit ihnen Bomben, Napalm, Opfer und Grausamkeiten. Dieses Land hat sich mittlerweile von den Zerstörungen des Krieges so weit erholt, dass sich dies meiner Meinung nach nur mit dem sogen. deutschen Wirtschaftswunder der 1950er Jahre vergleichen lässt. Es ist zugleich ein liebenswertes fernöstliches Land geblieben mit vielen Eigenheiten.

Kommt man in der Hauptstadt Hanoi – nicht etwa die Gründung eines erstaunten Schwabens – an, fallen die Mopedkavalkaden auf. Wer es beim Bummel durch die quirlige Altstadt mehrfach schafft, die Straße zu überqueren, ohne unter die Räder zu kommen, sollte sofort im Lotto tippen; denn es ist sein Glückstag. Die Häuser, Gassen und Geschäfte der Altstadt sind sehr lebendig und tropisch angelaufen. Die Bauten aus der französischen Kolonialzeit wirken dagegen gepflegt. Die Oper vermittelt den Eindruck, als seien die Kolonialherren gerade erst abgezogen.

Ein linientreues Programm ist Pflicht: das klotzige Mausoleum von Ho Chi Minh außen und innen. In weihevoller Stille muss man am Kristallsarg vorbeiziehen. Onkel Ho sieht sehr verfremdet und wächsern aus – gerade wie sein eigener Leichnam. Der Bungalow von Onkel Ho mit Schlaf- und Arbeitszimmer gehört auch zum Pflichtprogramm. Ob er wirklich so spartanisch gelebt hat, wie dort dargestellt, frage ich lieber nicht. In der Nähe erhebt sich die kleine alte Einsäulenpagode, die, wie der Name schon sagt, von einer Säule getragen wird. Der Sitz des früheren französischen Gouverneurs wurde offenkundig einem Loireschloss nachempfunden. Das Nationalmuseum offeriert interessante Exponate aus der vietnamesischen Geschichte. Der Literaturtempel entpuppt sich als ausgedehnte konfuzianische Weihestätte mit Steinstelen, auf denen Sinnsprüche und Gedichte vietnamesischer Literaten verewigt sind.

Durch dicht besiedelte Tropenlandschaft fährt man nach Haiphong. Es bietet eine lebendige Altstadt, Tempel und Pagoden. Häuser und Oper des früheren Europäerviertels könnten im Paris des fin de siècle stehen. Entlang der Küste des südchinesischen Meeres erreiche ich Halong, den Namensgeber einer großen Bucht mit der phantastischen Inselwelt von rund 2000 bewaldeten Karstkegeln. Mit einer Dschunke kreuze ich in diesem Gewirr. In ihm verlieren sich einige Fischer in winzigen Booten. Sie wohnen über dem Wasser in Dörfern auf Stelzen. Ich betrete einige Inseln, mal um eine Tropfsteinhöhle zu erkunden, mal um einen golden-roten Sonnenuntergang zu bewundern. Ein kleines Boot bringt mich zu einer von Affen bevölkerten Urwaldinsel. Sie umschließt ringförmig wie ein Krater einen See. Mein Bötchen schwimmt durch einen Tunnel hinein.  Die Szenerie mit steil aufragenden, bewaldeten Felsufern könnte jedem Abenteuerfilm als Kulisse dienen. Die nachhaltigsten Eindrücke bietet die Nacht. Vom Widerschein des silbernen Mondlichts  und den schattenhaften Silhouetten der Inseln auf dem Meer kann ich mich schon vor dem Einschlafen in Träume versetzen lassen. Der Vollmond verstärkt das schwebend-schöne Gefühl, in einem chinesischen Rollbild zu übernachten. – Joseph von Eichendorff hätte sich vermutlich zu einem weiteren romantischen Gedicht über eine Mondnacht inspirieren lassen.

Anderntags führt mich aus der Traumwelt ein Flug nach Hue zurück in die Realität. Die alte Kaiserstadt war im Vietnamkrieg hart umkämpft und immer wieder Ziel von Vietcongangriffen. Der Kaiserpalast, in dem der Kaiser lebte, ohne viel von der Außenwelt zu wissen und ohne zu realisieren, dass er ab den 1880er Jahren eine machtlose Marionette der Franzosen war, dieser Palast soll laut früheren Pressebericht besonders unter Beschuss gelitten haben. Davon ist nichts mehr zu sehen. Bunte Tore durchbrechen die dicke Außenmauer, Kanäle ziehen sich durch die Gärten, Altäre, Tempel und Paläste mit geschwungenen Dächern vermitteln einen zwar musealen, aber intakten Eindruck. Die Anlage wurde Anfang des 19. Jahrhunderts nach dem Vorbild der „Verbotenen Stadt“ in Peking errichtet, hat mit dieser jedoch nur wenig Ähnlichkeit.

Auf Hues Fluss der Wohlgerüche fahre ich durch alte Kulturlandschaft zur Thien Mu-Pagode. In ihr wird der erste Mönch verehrt, der sich aus Protest gegen das Diem-Regime Südvietnams verbrannt hat. Von dort führt der Weg zur Grabanlage des Minh Mang, zweiter Monarch der Nguyen Kaiserdynastie. Der Prozessionsweg zum Grabtempel imitiert offensichtlich mit seinen Figuren die chinesischen Minggräber, aber kleiner und schlichter.

Vor der Weiterfahrt zum Wolkenpass besichtige ich am Rande Hues das luxuriöse Grab des Kaisers Tu Duc in einer ausgedehnten Seen- und Gartenlandschaft. Der Wolkenpass bildet die Wetterscheide zwischen dem Norden und Süden Vietnams.

Fortsetzung im nächsten Heft

Text/Bild: UM

 

 

 

 

 

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