Belarus – Weißrussland

24. Juni 2018

Sögel: Es gibt verschiedene Erklärungen für den Namen dieses Landes: Weißrussland, weil es nie von Tataren besetzt wurde, weil man dort irgendwann weiße Kleidung trug oder weil „bely“ mal westlich oder nördlich bedeutete. Sei es, wie es sei, das Land in unserer weiteren Nachbarschaft ist ziemlich unbekannt.

Landet man in der Hauptstadt Minsk, so wird man von einer sehr sauberen, freundlichen und hellen Stadt empfangen. Sie ist von breiten Alleen, Grünanlagen und dem Fluss Swislatsch durchzogen. Die Plattenbauten wurden so angestrichen, dass sie die Penetranz und Ärmlichkeit ähnlicher Mietskasernen im Osten wie im Westen verloren haben. – Minsk wurde im 2. Weltkrieg völlig zerstört. Beim Wiederaufbau verlegte man die Industrie an den Stadtrand und erneuerte historische Bauten und die Dreifaltigkeitsvorstadt, ein altstädtisches Viertel aus dem 19. Jahrhundert. Orthodoxe Heilig-Geist-Kathedrale und Nationalbibliothek setzen Akzente. Pompöse Zuckerbäckerbauten an breiten Straßen sehen wärmer aus als viele moderne Zweckbauten im Westen. Selbstverständlich findet man in heroischen Wandbemalungen, Denkmälern und einigen Hotels noch den Mief der Sowjetzeit. Er wirkt jedoch nicht dominant.

Wendet man sich in Richtung Nordosten des Landes, durchquert man eine beschauliche Landschaft. Wälder und Wiesen wechseln einander ab. Die Ähnlichkeit mit dem Emsland dokumentiert die Zugehörigkeit zur nordeuropäischen Tiefebene. In Polotsk, der ältesten Stadt Weißrusslands, erhebt sich auf einem Steilufer der westlichen Dwina (Düna) die Sophienkathedrale. Sie besticht neben ihrer Lage mit sakralen Figuren und einer gold-blau-weißen Innenbemalung. Diese ordnet die Kathedrale dem Barock des litauischen Vilnius zu. Der kirchliche Bereich setzt sich fort mit dem St. Euphrosyne-Kloster. In einer seiner drei Kirchen verehrt man die heiliggesprochene Nonne Euphrosyne von Polotsk, in einer weiteren Kirche beeindrucken kunsthistorisch wertvolle Fresken aus dem 12. Jahrhundert. Der weltliche Stolz von Polotsk ist das Museum für Buchdruck. Es erinnert an die Einführung des weißrussischen Buchdrucks im 17. Jahrhundert.

Die Stadt Vitebsk an der russischen Grenze ist bald erreicht. Am Ufer der westlichen Dwina posieren malerisch eine alte Holzkirche sowie eine weitere Steinkirche im russischen Stil. In beiden werden Gottesdienste mit herrlichem Gesang zelebriert eingeleitet von russischem Glockenläuten. Ein Stückchen weiter setzt eine Barockkirche auf einer grünen Anhöhe über dem Fluss Akzente, die an die österreichische Wachau erinnern. Einen weniger harmonischen Kontrapunkt, obwohl dieser die Harmonie erhöhen sollte, setzen einige klobig-hässliche Denkmäler für Partisanen, Soldaten und sozialistische Helden. Man weiß hier aber wenigstens, was die Denkmäler bedeuten. Im Westen ist Vitebsk bekannt als Ort der Herkunft von Marc Chagall. Sein Geburtshaus blieb erhalten. Ein Museum zeigt viele seiner Bilder.

Südlich von Minsk erreicht man durch Felder, Wiesen, Moor, Wälder und mehr oder weniger verträumte Dörfer das Schloss Mir. Anscheinend jeder polnisch-litauische und russische Adelige, der es sich leisten konnte, hat das Schloss irgendwann besessen und daran herum gebaut. So wurde es eine interessante Mischung aus Gotik, Renaissance und Barock. Hinter dem Schloss am Rande eines Waldes mit Blick auf einen See erhebt sich eine prächtige russische Kirche. Sie könnte auch St. Petersburg oder Moskau schmücken. Natürlich haben polnische Adelige ein solches Gotteshaus als Grablege genutzt.

Litauisch Brest (Brest Litovsk) liegt nicht allzu weit entfernt. Denkmäler, einige Kirchen, Parks und stalinistisch-klassizistische Prunkbauten geben Brest ein ansprechendes Flair. Der Bahnhof in unnachahmlichem Zuckerbäckerstil imponiert mit so geballtem Kitsch, dass man ihn bewundern muss. Die riesige Festung an der polnischen Grenze bleibt allerdings trotz Abendsonne düster. (Hier fand zum Ende des Polenkrieges 1939 eine nazi-deutsche-sowjetische Militärparade statt. Ein Ereignis, das den Russen vermutlich heute noch peinlich ist.) – Nahe Brest erstreckt sich der Bialowiezer Nationalpark über die polnische Grenze. In seinem Urwald leben Wisente, Auerochsen, Wölfe und Elche. Allerdings sieht man sie nur mit viel Glück.

Auf der Rückfahrt nach Minsk sollte man nicht das beschauliche Landstädtchen Nesvizh versäumen. Es bietet ein Jesuitenkloster mit den Särgen polnischer Fürsten, die katholische Kirche Corpus Christi mit üppiger Ausmalung innen und als Höhepunkt das Radziwill-Schloss mit ausgedehntem englischem Park, Wassergräben und romantischem See.

Ob man die Pripjet-Sümpfe sowie weitere von der Tschernobyl-Katastrophe verseuchte Gebiet besucht, sollte jeder selbst entscheiden. Der Rest des Landes hat noch mehr interessante Orte zu bieten. Auf ihre Darstellung wurde verzichtet, um den Artikel nicht zu lang werden zu lassen.

Das nächste Mal werden Sie in ein exotisches Land entführt, das sich selbst golden nennt.

Text/Fotos:: UM

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