Drei Guyanas

1. April 2018

Bei den drei Guyanas handelt sich nicht etwa um eine Artistentruppe oder eine neue boy group, sondern die ehemaligen Kolonien British Guyana (heute selbständiges Guyana, Sprache Englisch), Holländisch Guyana (heute Surinam, Sprache Niederländisch) und Französisch Guyana (heute französisches Überseedepartement gleichen Namens, Sprache Französisch). Die drei benachbarten Länder liegen an der Ostecke Südamerikas zwischen Venezuela und Brasilien. Sie sind dünn besiedelt, überwiegend mit Regenwald sowie einigen Savannen bedeckt und gehören zu den unberührtesten Gebieten Lateinamerikas.

Kommt man in Paramaribo, der Hauptstadt Surinams, an, empfängt einen schwüle Hitze. Sie wird zum Begleiter bis zum Verlassen der Region. Die Stadt wirkt kolonial. Sie kann die holländische Geschichte nicht verhehlen. Am breiten Surinam Fluss gruppieren sich um einen kahlen Platz der Präsidentenpalast, weitere repräsentative Gebäude, ein Kriegerdenkmal und ein Fahnenwald. Über den breiten Fluss wölbt sich mit Blick auf Stadt und Meer eine große Straßenbrücke. Rechts davor ragt das Wrack eines deutschen Schiffs aus dem Wasser, das sein Kapitän beim Kriegsende versenkte. Im Zentrum der Stadt dominieren Häuser aus Holz in sehr unterschiedlichem Erhaltungszustand. Sie strahlen (teils morbide) altväterliche Gemütlichkeit aus. Hafen und Flussmündung wurden früher vom Fort Zelandia gegen Piraten, Engländer und Franzosen bewacht. Es enthält heute ein Museum. Die Flussmündung ist das Revier einer großen Delphinschule. Es ist kaum möglich, bei einer Bootstour keine dieser Walverwandten zu sehen. Der Rest des Landes bietet Dschungelerlebnisse. Da ist der Nationalpark Bigi Pan zu nennen, ein riesiges Sumpf-/Waldgebiet, das von vielen kleinen und großen Kanälen sowie Flüssen durchzogen wird. Es wäre vermutlich komplett überflutet, wenn die Holländer nicht bis hinauf nach Guyana Meeresdeiche hinterlassen hätten. Eine Bootsfahrt durch die baumbestandenen Kanäle vermittelt das Bild der früher romantisierten Tropen. Vor dem Boot steigen permanent Schwärme weißer Reiher auf, man erspäht den Scharlachibis, gelegentlich eine große Eule. Nur die Geier stören die Idylle und erinnern daran, dass sich in Wald und Sumpf Kaimane, Schlangen, Ozelote und Jaguare verbergen. – Nach längerer Autofahrt gelangt man zum Oberlauf des Surinam Flusses mitten im Urwald des Hinterlandes. Ein schmales offenes Boot bringt einen durch Stromschnellen tiefer in den Wald hinein. Man kann dort die entlegenen Dörfer der Maroon, seit Jahrhunderten in den Urwald entlaufene schwarze Sklaven, besuchen, durch den Urwald streifen – nur mit Führer ratsam -, nachts vom Boot aus Kaimane suchen oder einfach nur sitzen und die Landschaft bewundern. In einiger Entfernung erstreckt sich durch bewaldete Hügel der Brokopondo Stausee von mehr als doppelter Größe des Bodensees. Mit dem Boot erreicht man üppig bewachsene Inseln. In den Bäumen hängen Faultiere ab, um es tummeln sich viele Vögel und Brüllaffen. – Übrigens: Holländisch Guyana wurde schon im 17. Jahrhundert von einer Deutschen für zwei Jahre besucht. Sibylle Maria Merian erforschte das Land und vor allem Insekten. Sie verfasste danach ein seinerzeit bahnbrechendes Buch über die Metamorphose (Verwandlung) der Schmetterlinge. Der S. Merian wurde mit einem Bildnis auf dem 500,- DM Schein gedacht. –  Guyana erreicht man über einen breiten Fluss  mit einer Fähre. Die meisten anderen Flüsse kann man nur in einem schaukelnden kleinen Boot queren. – Nebenbei: Die drei Länder werden wegen der hohen Regenmengen von vielen Flüssen durchzogen, gegen die der Rhein recht ärmlich aussieht. Der Unterzeichner hat erlebt, wie der Himmel dort seine Schleusen öffnete. – Nahe Georgetown, der Hauptstadt von Guyana, erinnert ein bunter Hindutempel am Meer, dass im Land neben den Nachfahren schwarzer Sklaven viele Inder leben. Die Hauptstadt weist viele versumpfte Grachten und wie Paramaribo einen tropischen,quirligen, stickigen Markt auf, ein Parlament und einige andere Bauten aus Stein, viele mehr oder weniger morsche Holzhäuser und ein hölzernes Rathaus im Phantasiestil eines Loireschlosses. Die Bediensteten im Rathaus sollten Schutzhelme tragen, so brüchig, wie das Gebäude ist. Von der Kathedrale, die z. Zt. renoviert wird, behaupten die Einheimischen, sie sei die größte Holzkirche der westlichen Hemisphäre. Von Georgetown aus fliegt man mit einem kleinen Flugzeug eine Stunde über dichten Urwald, nur unterbrochen von Narben illegaler Goldgräber, zu einer Piste im Kaieteur Nationalpark. Nach einem Marsch durch den Dschungel erreicht man den beeindruckenden Kaieteur Wasserfall. Er stürzt von einem Felsabbruch 240 m im freien Fall in die Tiefe.

Um nach Französisch Guyana zu kommen, überquert man erneut einen breiten Fluss auf schwankendem Boot. Die Grenzformalitäten verlaufen schnell und unproblematisch, da man nach Frankreich und in die EU einreist. Geldtausch erübrigt sich, weil mit Euro bezahlt wird. Ansonsten sieht dieser „Teil“ Europas ebenso aus wie die beiden Nachbarländer: Palmen, Urwald, Flüsse. Zwei Attraktionen sollte man nicht auslassen: die Isles du Salut und das Ariane- Raumfahrtzentrum. Die (auf Deutsch) Inseln des Heils, weil sich dorthin im 18. Jahrhundert eine Expedition retten konnte, dienten bis 1951 als Gefängnisinseln. Von Kourou aus fährt man 14 km mit einem Katamaran zur Gruppe der drei Inseln (St. Joseph, Königliche und Teufelsinsel). Vom Meer aus muten sie so an, wie man sich Tropeninseln erträumt. Im Inneren entdeckt man nach schweißtreibendem Aufstieg über Wege und Treppen, die von den Gefangenen angelegt wurden, ordentliche Bedienstetenhäuser, eine luxuriöse Direktorenvilla, eine Kirche, einen Leuchtturm und verwitternde Gefängnistrakte mit vielen kahlen Zellen. Einige haben statt Dach ein Gitter. In ihnen setzte man die „schlimmsten“ Gefangenen der Witterung aus. Tagsüber mussten sie stehen, ohne sich anzulehnen, nachts auf dem nackten Boden schlafen. (Ob die Amerikaner hier für Guantanamo Maß genommen haben?) Der prominenteste Gefangene war Alfred Dreyfus, der zu Unrecht verurteilte französische Hauptmann. Bekannt wurde Papillon (Schmetterling), dem laut Selbstdarstellung, Roman und Film die Flucht gelungen war. Die Gefängnisse „beherbergten“ bis zu 2000 Inhaftierte gleichzeitig. Die Strafetablissements, wie die Franzosen sagen, werden inzwischen vom Urwald überwuchert und erhalten so eine tropisch-gruselige Patina.

Freundlicher geht’s in der zweiten Sehenswürdigkeit zu. Im französisch-europäischen Raumfahrtzentrum bei Kourou im Urwald an der Küste starten die Ariane – Raketen. Sie tragen viele Satelliten aus aller Herren Länder ins All. Das Raumfahrtprogramm VEGA ist dort stationiert. Selbst das russische Soyuz -Programm verfügt über eine Abschussrampe, da wegen der größeren Schleuderkraft der Erde in Äquatornähe über fünf Tonnen in den Orbit geschossen werden können, mit gleicher Schubkraft in Baikonur höchstens 1,5 t. Ein kleines Museum, Raketenmodelle, ein Film und eine Bustour über das riesige Gelände bringen dem Besucher das Raumfahrtzentrum näher. – Sollten Sie, verehrte Leserin und Leser, einen Satelliten in den Weltraum befördern wollen, es kostet pro Kilogramm 20 000,- bis 25 000,- € ab Kourou einschließlich Nachbetreuung (des Satelliten, nicht Ihres Bankkontos).

Im nächsten Monat bleiben wir in Südamerika, aber auf der anderen Seite.

Text/Fotos: UM

 

 

 

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