Das Dritte Reich – ein gesetzlicher Unrechtsstaat?

14. März 2016

Teil II

Obwohl die im ersten Teil des Artikels aufgeführten Zitate für sich sprechen und das Unrechtssystem des Dritten Reichs beschreiben und analysieren, soll es noch einige weitere Erläuterungen geben.

Viele Juristen (Richter, Staatsanwälte, Rechtsanwälte, Verwaltungsjuristen) waren nationalkonservativ. Sie hatten im Kaiserreich studiert und in dessen autoritärem System ihre berufliche Karriere begonnen oder waren auf der Karriereleiter emporgestiegen.

Es wird häufig übersehen, dass berufliche Karriere auch die Funktion einer Sozialisation für das Berufssystem bildet, in dem man Karriere macht. Je besser man sich die im Berufssystem geforderten Praktiken aneignet und die Werte sowie Normen dieses Systems verinnerlicht, desto größer sind die Aufstiegschancen. Damit nimmt man Schritt für Schritt die Mentalität des Systems in sich  auf, integriert sie in seine Persönlichkeit, so dass sie zu Einstellungen und Haltungen wird.

Die Haltungen steuern dann das eigene Verhalten und die berufliche Weltsicht. Diese kann  ausstrahlen auf die Haltungen und Einstellungen der gesamten Persönlichkeit. Man bildet Identität mit dem beruflichen System. Man identifiziert sich mit seinen Anforderungen. So gestaltet sich eine allgemeine (berufliche) Mentalität als Teil der eigenen Persönlichkeit und wird eigene Mentalität. (In einem Sprichwort wird diese berufliche Sozialisation mit ihren Folgen für die Personalistin treffend beschrieben: Wes’ Brot ich ess’, des’ Lied ich sing.) – Es gab im Dritten Reich Juristen, die Widerstand leisteten, die nicht im Sinne der NSDAP Anklagen erhoben oder Urteile fällten. Sie wurden oft in den Ruhestand versetzt oder ihnen wurden Kompetenzen entzogen.

Etliche Juristen im Staatsdienst ließen sich auch in den Ruhestand versetzen, um sich nicht am Unrecht zu beteiligen. Neben den NSDAP-hörigen, willfährigen Juristen sowie den von Anfang an überzeugten nationalsozialistischen Juristen blieben andere gegen zunächst innere Widerstände staatstreu, wie sie es gelernt hatten. Dabei konnten letztere ihr Gewissen, also den Sitz von Werten, Normen und wertgesteuerten Haltungen, beruhigen, da die NSDAP einerseits die Quellen allergrößter Verbrechen der Rechtsprechung entzog, nämlich SS, Gestapo und Befehle zu massenhaften Erschießungen von sowjetischen politischen Kommissaren im Krieg sowie von angeblichen und tatsächlichen Partisanen.

Andererseits gingen die Nationalsozialisten bereits wenige Tage nach ihrer „Machtergreifung“ daran, Unrecht in Gesetzesform zu gießen. Hier kam die Rolle des deutschen Rechtspositivismus (lat.: ponere = setzen, stellen, legen) zum Tragen. Das, was in Gesetze gelegt ist, gilt als Recht und bindet den Richter. Das Recht muss aber über dem Gesetz stehen. Das Verhältnis zwischen Recht und Gesetz ist, wie an anderer Stelle bereits ausgeführt, dasselbe wie zwischen Werten und Normen. Die Werte sagen, was wert ist zu sein, was sein soll und erstrebenswert ist, die Normen sind die Ausführungsbestimmungen, mit denen man diese Ziele erreichen kann. Wenn die Normen dem Recht widersprechen, so müssen die Normen ungültig sein.

„Gustav Radbruch (Reichsjustizminister 1921/22 und 1923) hat derartige Gesetze im Jahr 1946 als „gesetzliches Unrecht“ gebrandmarkt. Demgegenüber hat er das „übergesetzliche Recht“ gefordert und damit anerkannten Menschenrechten Vorrang eingeräumt.“ (Ostendorf, ebd., S. 1)

Nach diesem großen Rechtsgelehrten ist die „Radbruchsche Formel“ genannt, „… nach der das positive Recht nicht anzuwenden ist, wenn es in so unerträglichem Maße der Gerechtigkeit widerspricht, „dass das Gesetz als unrichtiges Recht der Gerechtigkeit zu weichen hat.“ (Hirsch, ebd., S. 4)

Text/Bild: UM

 

 

 

 

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