Gegen das Vergessen – ungewöhnliche Formen des Gedenkens an die Opfer des NS-Regimes im Kloster Esterwegen

3. März 2015

Der 27. Januar ist der Tag der Befreiung des Lagers von Auschwitz durch die Rote Armee und seit 1996 ein gesetzlich verankerter Gedenktag. Wie aber der Opfer in angemessener Weise gedacht werden kann und wie dieses Gedenken den Generationen weitergegeben werden kann, die selbst keine Zeitzeugen sind, ist eine Frage, um die in dieser Zeit immer wieder gerungen wird. Im Kloster Esterwegen versammelten sich ca. 30 Menschen, um sich der Erinnerung an die Opfer des nationalsozialistischen Regimes zu stellen. Im Zentrum stand dabei die Theodizeefrage, die Frage nach der Güte Gottes angesichts des Leidens in der Welt.

„Wir müssen uns an diese Menschen erinnern, ihnen nach-fühlen, sie würdigen“, eröffnete Schwester Jacintha die Gedenkveranstaltung in dem kleinen geistlichen Zentrum am ehemaligen Lagergelände in Esterwegen vor den Besuchern, unter denen sich auch einige Jugendliche befanden. Gerade angesichts der grausamen Verbrechen in Auschwitz müsse die Erinnerung versuchen, den Opfern ihre menschliche Würde zurückzugeben.

In der gut einstündigen Andacht hatten die im Kloster lebenden Mauritzer Franziskanerinnen Schwester Jacintha und Schwester Birgitte sowie der pädagogische und theologische Begleiter, Michael Strodt, unterschiedliche Formen des Gedenkens gewählt. So machte Strodt auf das Lied „Prayer in C“ aufmerksam, das im letzten Sommer im Remix des Osnabrücker DJs Robin Schulz zu einem Chartstürmer avancierte. Das Original stammt von dem französischen Folkpop-Duo „Lilly Wood and the Prick“ und ist ein nach Aussage der in Israel geborenen Sängerin Nili Hadida „ein offener Brief an Gott“, der eine radikale Anklage Gottes angesichts der unzähligen leidenden Menschen in dieser Welt darstellt. „Denke nur nicht, dass ich dir vergeben könnte“, heißt es in dem Text, der im alten Israel vielleicht ein Psalm gewesen wäre, wie Schwester Birgitte herausstellte und damit zum gemeinsamen Gebet des berühmten Psalms 22 überleitete, den auch Jesus am Kreuz betete: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Das gemeinsame Gebet wurde immer wieder unterbrochen von Berichten derer, die in den sogenannten Emsland-Lagern inhaftiert waren.

Die Worte der Zeitzeugen könnten nicht wirkungslos bleiben, die Hörer dieser Worte seien selbst „Zeugen der Zeugen“, machte wiederum Strodt deutlich und wies damit auf die Aktualität des Gedenkens der Leidensgeschichte von Auschwitz hin. „Wird die Welt je lernen?“ zitierte er Elie Wiesel, den berühmten jüdischen Schriftsteller und Auschwitz-Überlebenden, und lenkte die Aufmerksamkeit auf die Terroranschläge gegen die Redaktion der Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“ in Paris. Millionen Menschen hatten nach diesen Anschlägen auf das Europa der Freiheit und der Menschenrechte mit dem Slogan „Je suis Charlie“ ihre Solidarität bekundet. Solidarisierung bedeute, sich an die Seite der Opfer zu stellen, ohne sich mit ihnen identifizieren zu können, betonte der Pastoralreferent. Deshalb habe die Erinnerung an die Verbrechen von Auschwitz auch Konsequenzen für die Gegenwart: Es gelte, gegen Fremdenfeindlichkeit und Ressentiments aufzustehen und zu sagen „Nicht in meinem Namen“, wie es gegenwärtig in Opposition zu den Pegida-Demonstrationen geschehe. Als Zeichen der Solidarität entzündeten dann einige der Anwesenden Kerzen als Lichter der Hoffnung, dass es immer noch mehr am Menschen zu feiern als abzulehnen gebe.

Text/Foto: : Josef Becker

Schwester Jacintha vom Kloster Esterwegen entzündet eine Kerze gegen das Vergessen

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