Ein Reisebericht vom Weltjugendtag 2013

1. September 2013

„In die „favelas“, in die „cantegriles“, in die „villas miseria“ muss man gehen, um Christus zu suchen und ihm zu dienen.“ Mit diesem Zitat von Mutter Theresa wendete sich Papst Franziskus in einer Eucharistiefeier an die Priester und Ordensleute, die am Weltjugendtag 2013 in Rio de Janeiro teilnahmen. Auch eine 10-köpfige Pilgergruppe, die sich im Umfeld der Jugendbildungsstätte Marstall Clemenswerth formiert hatte, machte sich in Begleitung der Teamer Eva Schumacher, Michael Strodt und Luciano Januario de Sales auf den Weg nach Brasilien.

Die zweieinhalb Wochen lange Reise führte uns in insgesamt drei Bundesstaaten und viele sehr unterschiedliche Sozialprojekte, die mit jeweils spezifischen Problematiken umgehen. Das erste Reiseziel war Recife im Nordosten des Landes, wo die Pilger ihre Zelte in der „Turma do Flau“ aufschlugen. Der sehr warmherzige und freundschaftliche Empfang prägte die Atmosphäre der immer im Vorfeld des Weltjugendtages stattfindenden „Tage der Begegnung“. Mitten im armen Stadtteil Brasilia Teimosa gelegen machen drei Ordensschwestern, viele engagierte Professores und unzählige „gute Seelen“ Bildungsarbeit für und mit den Kindern des Viertels. Traditionelle Tänze wie Maracatú, Frevo oder Capoeira, Computerschulung, Religionsunterricht und – besonders wichtig – sättigende Mahlzeiten sind Teil der Arbeit, an der auch die exotischen Gäste teilhaben durften. Bei gemeinsamen Strandbesuchen, deutsch-brasilianischen Fußball-Matches oder ausgiebigen Tanzstunden konnten wir Freundschaften knüpfen. Doch die Wichtigkeit dieses Projekts  erkannten wir erst, als wir einige Familien zu Hause besuchten und eine Mutter uns sagte: „Als die Kinder alt genug waren, habe ich sie sofort zur Turma do Flau geschickt, weil sie dort etwas zu essen bekommen.“ Worte, die betroffen machen und die Lebenssituation vieler Brasilianer widerspiegeln, denen schlicht das Geld fehlt, um ihre Familie ernähren zu können oder ihnen ein sauberes Heim zu bieten.

In Recife lernten wir weitere Projekte kennen, die auf jeweils eigene Weise zum Ziel hatten, den Menschen ein besseres Leben zu ermöglichen – ob auf der Ilha de Deus im Schatten der Skyline Recifes oder bei den „Kleinen Propheten“, einer Einrichtung für Straßenkinder, von denen es  immer noch viele gibt und die durch Drogen und Gewalt in ständiger Lebensgefahr schweben. Umso bemerkenswerter und beeindruckender die Lebensfreude und Hoffnung, die aus vielen Projektmitarbeiter/-innen und –teilnehmer/-innen aller Orte sprach.

Eine wiederum andere Problemlage zeigte sich in der ländlichen Region nördlich von Recife im Bundesstaat Paraíba. Dort hatten wir Gelegenheit zum Austausch mit dem Politiker und Franziskanerpater Frei Anastacio, der für die Arbeiterpartei im Landtag von Paraíba sitzt, und Vertretern der Landlosenbewegung. In einem Assentamento, einer befestigten Siedlung, und einem Acampamento, einem Camp, erfuhren wir von der Lebenssituation der Landlosen, die  maßgeblich geprägt ist vom Kampf ums Überleben und für das Recht auf eigenes Land, das den Lebensunterhalt sichert.

Auch in Rio de Janeiro bewegten wir uns auf etwas anderen Pfaden. Alle Weltjugendtagsteilnehmer des Bistums Osnabrück waren in der Casa de Retiro Nosso Lar, einer Bildungsstätte der Diözese Nova Iguaçu, bei guter Verkehrslage etwa eine Stunde von Rio entfernt, untergebracht. Von dort aus konnten mit öffentlichen Verkehrsmitteln die Katechesen beim Weltjugendtag, das Menschenrechtszentrum, das zwei Mitarbeiter als Ansprechpartner zur Verfügung gestellt hatte, oder die Kathedrale der Diözese Nova Iguaçu angesteuert werden. In dieser Kathedrale wurde 1979 ein Bombenanschlag auf den damaligen Bischof Dom Adriano Hypolito verübt, weil er sich an der Seite der Armen für ihre Rechte auf ein menschenwürdiges Leben eingesetzt hatte.

Das Weltjugendtagsgelände in Rio hingegen führte uns und alle WJT-Pilger durch Rios Bankenviertel, in dem sich auch die Kathedrale der Erzdiözese Rio de Janeiro befindet, zur Copacabana, dem Ort des Eröffnungsgottesdienstes, der nächtlichen Vigilfeier und der Abschlussmesse.

Gerade angesichts dieser krassen Gegensätze stellten sich uns viele Fragen, die Mitfahrer Sebastian Vinke aus Georgsmarienhütte so zusammenfasste: „Ich verstehe nicht, wie man die ganze Zeit davon reden kann, dass Brasilien „boomt“ und von der Armut und Entrechtung großer Bevölkerungsteile schweigt.“ Und dennoch werden uns allen auch die unzähligen großen und kleinen positiven Momente mit den Kindern der Turma do Flau, der Kleinen Propheten und den anderen so wichtigen Projekten nachhaltig in Erinnerung bleiben.

Text/Foto: Josef Becker

Die Kinder der Turma do Flau begrüßen uns mit dem Maracatu - und es dauert nicht lange, bis wir auch mitmachen dürfen.

In dem Acampamento der Landlosen werden Maiskolben gegrillt, die uns Gästen später mit Cafézinho gereicht werden.

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