Was ist Geschichte?

1. Mai 2013

Eine anscheinend schlichte Frage. Augustinus wird folgender sinngemäßer Ausspruch zugeschrieben: „Wenn mich niemand danach fragt, weiß ich, was Zeit ist. Sobald mich jemand fragt, weiß ich es nicht mehr.“  – Ähnlich geht es vielen Menschen, einschließlich Historikern, wenn man sie bittet zu erläutern, was Geschichte sei. Ist sie eine zufällige Aneinanderreihung von Ereignissen, eine Abfolge von Notwendigkeiten oder eine Mischung aus Zufällen und Notwendigkeiten? Hat Geschichte einen Sinn, eine Aufgabe oder ein Ziel? Von diesem könnte man dann auf den Sinn und die Aufgabe von Geschichte schließen. Hat sie Gesetzmäßigkeiten und Wiederholungen? Lenkt der Weltgeist die Geschichte oder greift er gelegentlich in Form von bestimmten Personen ein? (Hegel) Sollte man besser von kollektiver Mentalität oder Zeitgeist als Handler und Vorantreiber der Geschichte sprechen und davon, dass bestimmte Menschen in besonderem Maße als Vertreter des Zeitgeistes gelten? (Dabei erhebt sich die Frage, ob dies für Hitler und Stalin galt.)

Eins lässt sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sagen: Geschichte reißt nicht ab, insbesondere Mentalitäten, kollektive sowie individuelle Meinungen und Haltungen, die wiederum das Handeln bestimmen. (Haltungen erzeugen Verhalten!) Selbst bei revolutionärer Kehrtwende beeinflusst die Vergangenheit die Gegenwart und wird in der Zukunft bedeutsam, wie man an der Erhaltung des Christentums im früheren Ostblock oder dem Fortwirken konfuzianischer Traditionen in China erkennen kann. Kollektive und individuelle Identitäten (also Werte, Meinungen, Haltungen, Bewusstsein u. a. m.)  sind außer mit dem körperlichen Tod von deren Trägern kaum auslöschbar.

Man kann etwas plakativ sagen, Geschichte als etwas Zusammenhängendes spielt sich außer in den „Außenskeletten unseres Wissens“ (Arnold Gehlen) in Form von Büchern, Akten, Dateien usw. in erster Linie in unseren Gehirnen ab. Das erkennt man unter anderem daran, wie unterschiedlich dieselben historischen Ereignisse in unterschiedlichen Ländern und von verschiedenen Altersgruppen interpretiert und gewichtet werden. Selbst wenn ein Ereignis in zwei Ländern für wichtig erachtet wird, können die Betrachtungsweisen sich unterscheiden. So ist z. B. der Westfälische Friede für den Deutschen zunächst das Ende eines 30-jährigen Leidens, für den Holländer primär die juristisch anerkannte Unabhängigkeit seines Landes. Es gibt aber auch gleiche Betrachtungen in verschiedenen Ländern. Franzosen wie Deutsche sehen Karl den Großen als ihren großen Kaiser an. Findet man mehrere solcher Übereinstimmungen, so deutet das bei aller Unterschiedlichkeit auf einen gemeinsamen Kulturkreis hin.

Spüren Sie doch mal den hier aufgeworfenen Fragen und Feststellungen auf dem Europäischen Geschichtsweg in Sögel nach. Er reicht von Christi Geburt bis in die jüngste Vergangenheit und stellt bis auf wenige Ausnahmen die Geschichtsbetrachtungen Jugendlicher aus Frankreich, den Niederlanden, Polen und Deutschland dar. Prüfen Sie selbst Übereinstimmungen und Unterschiede anhand der Bilder und Beschriftungen der Stelen.

Der Geschichtsweg beginnt am Markt und der katholischen Kirche in Sögel. Er wird Ihnen in den IfS in den nächsten Monaten in lockerer Reihenfolge vorgestellt. Lassen Sie sich dadurch nicht hindern, ihn zu erwandern oder mit dem Rad zu „erfahren“.

Text/Bild: Uwe Müller

    

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