Europäische Geschichte im lokalen Niederschlag

Europäische Geschichte im lokalen Niederschlag: Migration im 20. Jahrhundert am Beispiel der Gemeinde Sögel

Ankunft der Flüchtlinge nach 1945

Seit Ende des verheerenden Zweiten Weltkrieges sind 65 Jahre vergangen.  Die Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten, die als Folge des von Deutschland ausgelösten  Weltenbrandes 1949 entstanden waren, ist auch schon 20 Jahre Geschichte. Der von Michail Gorbatschow ab 1985 eingeleitete Prozess zum Umbau und zur Modernisierung des politischen und wirtschaftlichen Systems der Sowjetunion, auch Perestroika genannt, bedeutete das Ende des „Kalten Krieges“ und machte erst den Weg  frei für umwälzende Reformen und Erleichterungen in der Sowjetunion. Es setzte eine Einwanderungswelle deutschstämmiger Sowjetbürger nach Deutschland ein, die zwischen 1995 und 2000  Massencharakter annahm und dann langsam abebbte.

Wenn Menschen ihre Heimat verlassen, um ihren Lebensmittelpunkt an einen anderen Ort zu verlegen, die Gründe dafür können ganz unterschiedlich sein, spricht man von Migration (lat.: Wanderung). Hinter jedem Migranten verbirgt sich ein individuelles Schicksal, das sich  nur bei ehrlicher Integrationsbereitschaft des Gastlandes positiv entwickeln kann.

Die sicherlich größte Migrationswelle löste der Zweite Weltkrieg aus. Auch die Gemeinde Sögel und die  Mitgliedsgemeinden der Samtgemeinde waren nach 1945 Ziel zahlreicher Flüchtlinge und Vertriebenen aus den deutschen Ostgebieten. Sie stammten aus Ostpreußen, Schlesien, Pommern, dem Sudetenland und anderen osteuropäischen Staaten. Einige Straßennamen in Sögel deuten auf die Herkunftsorte der Neubürger hin.  Durch den Zuzug  fremder Menschen aus geografisch entlegenen Gebieten mit unterschiedlicher sozialer Herkunft, Konfession und Tradition mussten zwangsläufig Spannungen und Konflikte auftreten. Dadurch veränderten sich auch die gesellschaftlichen Strukturen der Aufnahmegemeinden.

Das „Forum Sögel e.V“ hat mit der „Geschichts- und Zukunftswerkstatt“  sich zum Ziel gesetzt, die Geschichte der Region, insbesondere jungen Menschen, altersgerecht zu vermitteln. Die Ankunft der Flüchtlinge nach 1945 in ihrer neuen Heimat ist eine Thematik, die das Forum Sögel analysieren und auch dokumentieren möchte. Hauptziel dieser Aufgabe sollte sein, das Schicksal der Flüchtlinge und Vertriebenen vor allem jungen Leuten anschaulich und auch emotional  näher zu bringen. Anregungen zur Umsetzung werden gerne entgegen genommen.

Bernd Schulte und Hermann Wichmann landeten mit der Kontaktaufnahme mit dem Lehrstuhl für Didaktik der Geschichte der Universität Vechta einen Volltreffer. Mit Herrn Professor Dr. Eugen Kotte und Herrn Lukas Aufgebauer, Wissenschaftlicher Mitarbeiter (Didaktik der Geschichte),  wurden zwei ausgesprochen kompetente Historiker gewonnen, die mit viel Freude und Engagement  die Kooperation mit dem Forum angegangen sind. Nicht verhehlen möchte ich an dieser Stelle, dass das Konzept und dessen Umsetzung durch das Forum  die Lehrenden überzeugt haben, dass eine Zusammenarbeit nur zum Vorteil für die Studierenden sein würde. So wurde das Bachelor-Seminar  im Sommersemester 2009 ausgeschrieben mit dem Thema:

„Europäische Geschichte im lokalen Niederschlag: Migration im 20. Jahrhundert am Bespiel der Gemeinde Sögel (in Zusammenarbeit mit der Geschichts- und Zukunftswerkstatt Sögel)“

Interviews im Ferienhaus
Interview im Ferienhaus
Interviews im Ferienhaus
Interview im Ferienhaus

Den Geschichtsstudierenden sollte die Möglichkeit gegeben werden, eigenständig forschend tätig zu werden. Dazu wurden in  Sögel unter der Leitung von H. Tolkmitt zus. mit Herrn Aufgebauer und Studierenden ausführliche Interviews mit Zeitzeugen aus Ostpreußen, Schlesien und Pommern geführt, weitere werden noch folgen. In wahrer Fleißarbeit sind die auf Tonträger und Video gespeicherten Dokumente zu Papier gebracht worden. Sie enthalten zum Teil ergreifende Schilderungen der Betroffenen, ihnen sei ganz herzlich für diese Bereitschaft gedankt.

Die „Einführung in die Archivkunde“ wurde praktisch untermauert durch die Sichtung von Archivbeständen der Gemeinde Sögel (Katholisches Pfarrarchiv-Herr Wellenbrock; Evangelisches Pfarrarchiv-Herr Tolkmitt; Gemeindearchiv-Herr Lemmermann /Herr Schmees; Schulchroniken-Herr Schulte). Die Studierenden waren an mehreren Wochenenden in Sögel, um Einblick in die  Archive zu nehmen und vor allem auch deren Inhalte  zu sichten, zu analysieren und zu interpretieren.

Forschungsarbeit im „Schückingsaal“
Praxisnahe Arbeit im Archiv der Gemeinde Sögel
Vechtener Studenten/Inen in „Weißen Haus“
Studenten/ innen der Uni Vechta im „Weißen Haus“
„Gruppen-Studium“ im Marstall
Recherchieren im Marstall Clemenswerth
Im Marstall mit Dozent Dr.Lange und Prof. Dr. Dr. Hucker
Sichtung im Archiv der Pfarrgemeinde St. Jakobus
Studieren im „Weißen Haus“

„Die zentrale Thematik des Projektes besteht im diachronen Vergleich (zeitlich und räumlich weit voneinander entfernte Gesellschaften, bei deren Phänomenen sich ein gemeinsamer Ursprung und gegenseitige Beeinflussung ausschließen lassen) zwischen der Situation von Flüchtlingen nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs mit der Situation von Spätaussiedlern der frühen 1990er Jahre. Dabei soll insbesondere der Aspekt der Ankunft in der „neuen Heimat“ Sögel im Mittelpunkt stehen. Die Ergebnisse aus dieser Betrachtung zweier qualitativ wie temporal unterschiedlicher Prozesse sollen zukunftsgerichtet analysiert werden.“ (Zitat: Lukas Aufgebauer, Uni Vechta)

Neben dem angestrebten Studienziel für die Studenten besteht perspektivisch die Möglichkeit, die gewonnenen Ergebnisse des Seminars in ein Ausstellungskonzept für das Forum Sögel umzusetzen und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. So ist die Zusammenarbeit von Forum Sögel mit der Uni Vechta ein Glücksfall für beide Seiten geworden und lässt für die Zukunft auf weitere Ergebnisse hoffen. Die Überreichung des  125 Seiten umfassenden Studienberichts erfolgte  am 23. April 2010 im Rathaus Sögel.

Folgende Themen wurden bearbeitet.

  1. Lukas Aufgebauer führt mit seiner lesenswerten Einleitung in die Thematik ein
  2. Der Weiße Sonntag am 8. April 1945 und seine Folgen
  3. Das Wohnraumproblem in Sögel nach dem Zweiten Weltkrieg
  4. Flüchtlinge und Vertriebene in Sögel im Spiegel von Zeitungsberichten
  5. Die Berichterstattung über die Flüchtlinge und Vertriebenen im Jahr 1953 in der Ems-Zeitung
  6. Die Rolle der Konfessionsschulen bei der Integration der Flüchtlinge und Vertriebenen
  7. Die Integration von Flüchtlingen und Vertriebenen am Beispiel statistischer  Auswertung der konfessionellen Mischehen in Sögel
  8. Konfessionelle Mischehen als Indikator? Eine Untersuchung zur Integration von Flüchtlingen und Vertriebenen am Beispiel der Gemeinde Sögel
  9. Die Frage nach der Integration am Beispiel der Mittelschule Sögel
  10. Flüchtlinge und Vertriebene in den Sterbeurkunden der Jahre 1945 – 1949

Beim Lesen des Studienberichts kommt an keiner Stelle Langeweile auf. Der Leser ist erstaunt, welche Ergebnisse und Interpretationen auf Grund der Archivarbeit präsentiert werden können. Auf die Umsetzung der Ergebnisse  und deren Präsentation im Forum Sögel kann man gespannt sein. Bis dahin wird aber noch viel Engagement und Zeitaufwand sowohl den Studierenden wie auch der Forum Sögel abverlangt.

(von Heribert Tolkmitt)

UNI Vechta übergibt Zwischenbericht

Zur Übergabe der ersten Zwischenergebnisse der gemeinsamen Forschungsarbeit:  „Europäische Geschichte in lokalem Niederschlag: Migration im 20. Jahrhundert am Beispiel der Gemeinde Sögel – Ankunft der Flüchtlinge nach 1945“ kamen am Freitag, dem 23.4.2010, Vertreter der UNI Vechta zum Forum nach Sögel. Prof. Dr. Eugen Kotte, sein wissenschaftlicher Mitarbeiter Lukas Aufgebauer, ein weiterer Mitarbeiter sowie drei Studentinnen besuchten zunächst die Geschichts- und Zukunftswerkstatt.

Dort wurden sie von dem ersten Vorsitzenden des Forums Bernd Schulte und Heribert Tolkmitt – beide betreuen federführend von Seiten des Forums die Forschungsarbeit – und von Sögels Bürgermeister Heiner Wellenbrock sowie einigen Mitarbeitern begrüßt und zu einem Informationsrundgang eingeladen. Die Gäste aus Vechta waren über die außergewöhnliche Qualität und dem hohen  Standard der Präsentation begeistert.

Nach diesem mehr informellen Teil erfolgte die offizielle Darstellung der Zwischenergebnisse der Untersuchung im großen Sitzungssaal des Rathauses

„Ludmillenhof“vorzahlreichen interessierten Besuchern.

Samtgemeindebürgermeister Günter Wigbers, Bürgermeister Wellenbrock und Bernd Schulte begrüßten alle Anwesenden, besonders die Gäste aus Vechta.

Günter Wigbers bedankte sich zunächst bei Bernd Schulte und Hermann Wichmann vom Forum Sögel für die beeindruckende Präsentation in der Geschichts- und Zukunftswerkstatt, die auf eine völlig neue Art die Geschichte Sögels und der Region erlebbar macht.

Prof. Kotte bedankte sich für den herzlichen Empfang und die weitreichende Unterstützung der Forschung. Heribert Tolkmitt hielt ein einleitendes Referat über Migration, Flüchtlinge, Vertriebene und deren Integration, verbunden mit eigenen Erfahrungen. Tolkmitts eigene Erfahrungen fügten sich gut in den Vortrag von Herrn Aufgebauer – Uni Vechta, ein. Eine der Erhebungsmethoden bestand in der sogen.                „oral history“,  der Geschichtsforschung vermittels Zeitzeugen und deren Berichte, sei es in Form von direkter Befragung, Auswertung von Leserbriefen oder Zeitungsartikeln über die bzw. aus der erforschten Zeit. Parallel dazu sollen auch polnische Flüchtlinge in Rothenbach, früher Niederschlesien, befragt werden.

Einige der bisherigen Forschungsergebnisse stellte Herr Aufgebauer anhand von Projektionen graphischer Darstellungen vor. Daneben wurden auch amtliche Statistiken erläutert.

Mittels Auszügen aus Leserbriefen der frühen 1950 er Jahre sowie weiterer  Äußerungen von Zeitzeugen ergab sich eine zum Leben erweckte Geschichte. Der Vortrag machte gespannt auf die Endergebnisse der komplexen gemeinsamen Forschungsarbeit von UNI Vechta und Forum Sögel. Zum Höhepunkt des “akademischen Nachmittags und Abends“ überreichte die Studentin Frau Heyer die bisherige Studie (genau 125 Seiten) dem Vorsitzenden von Forum Sögel, Bernd Schulte.

Frau Heyer plant derzeit eine  Bachelorarbeit zu dieser Thematik zu verfassen.

In einer allgemeinen Abschlussrunde wurden noch mehrere Fragen und Anregungen mit den Gästen aus Vechta erörtert. Bürgermeister Wellenbrock bedankte sich bei allen am Projekt Beteiligten in der Hoffnung auf weitere konstruktive Zusammenarbeit. Diese versprach Prof. Dr. Kotte mit nochmaligem Dank für die umfangreiche und fachlich kompetente Unterstützung seitens aller vor Ort Beteiligten. Die endgültigen Forschungsergebnisse werden zu gegebener Zeit in einer besonderen Veranstaltung vorgestellt.

(von Uwe Müller)

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