Kirchen und Pyramiden – Mexiko

16. April 2017

Kommt man in der ersten Novemberhälfte nach Mexiko, so fallen einem zunächst nicht die grandiosen Kirchen und gewaltigen Pyramiden auf, sondern ein für uns Mitteleuropäer eigenartiger Totenkult zu Allerheiligen. Er gemahnt entfernt an den früher bei uns oft verwendeten freundlichen Begriff vom Gevatter Tod. In Mexiko wird Allerheiligen lustig gefeiert. Eins der Mottos lautet „Viva el Muerte“ – es lebe der Tod (oder der Tote). Überall stehen und hängen Totenköpfe und Skelette. Teils nackt, teils in pompöser Verkleidung. Ein Totentanz ist hier nicht düster und bedrohlich wie auf europäischen Darstellungen, sondern fröhlich und eher lebensbejahend. Unklar bleibt dem Unterzeichner, ob Wurzeln dieser Einstellung in einer Abwehr der Drohung „memento mori“ (gedenke des Todes) der allgegenwärtigen katholischen Kirche  oder in dem  immensen Totenkult mit seinen Menschenopfern der Mayas und Azteken liegen. Sicherlich spielt auch eine Rolle, dass die meisten Götter der Ureinwohner recht mörderische Gesellen waren. Die unsäglichen Verbrechen der spanischen Eroberer sind ebenfalls nicht zu vergessen. Schon bei den Mayas galt offenkundig der Opfertod für die Götter als etwas Besonderes und Ehrenvolles. So wurde nach den Ballspielen der Mayas die Siegermannschaft geopfert. – Für die Götter nur das Beste! – Diese Haltungen der geopferten Mayas lassen sich vielleicht am besten mit denen von moslemischen Selbstmordattentätern oder von japanischen Kamikazefliegern vergleichen.

Die Mexikaner sind gläubige Katholiken. Ihre Nationalheilige, die Heilige Jungfrau von Guadalupe, wird im ganzen Land inbrünstig verehrt. Bei Mexiko Stadt erheben sich eine alte und eine neue Kirche zu Ehren der Heiligen. Sie werden von Hunderttausenden Pilgern besucht. Der katholische Glaube durchsetzt die gesamte Kultur und das Alltagsleben. Zeugen hierfür sind Marienwinkel an Autobahntankstellen, bunte Altäre in Restaurants und fast allen Häusern und eine unglaubliche Anzahl von Kirchen. Als ihr Baustil dominiert das Barock. Ihr Inneres prunkt mit üppiger goldiger Ausstattung von Decken und Wänden und übertrifft den kirchlichen Jubelbarock der von Jesuiten betriebenen Gegenreformation in Europa.

Vor den Kirchenbauten existierte in Mexiko eine mindestens ebenso beeindruckende Architektur der Ureinwohner. Die Sonnen- sowie Mondpyramide an einer breiten Prozessionsstraße mit präzise gefügten (sakralen?) Bauten in Teotihuacan – wo der Mensch zu Gott wird – versetzt jeden in Fassungslosigkeit.  Über die Erbauer dieser gewaltigsten Pyramidenanlage Mittelamerikas  wird gerätselt. Die Azteken fanden sie bereits leer vor.  Die Hauptstadt Tenochtitlan der Azteken stellte ein städtebauliches Wunder dar, das die Spanier anfangs nicht begreifen konnten, dann mit Mexiko Stadt überbauten und die Erinnerung an diese Hochkultur auszulöschen versuchten. Auf vielen Palästen und Tempeln errichteten sie Kirchen. –  Mit der Kultstätte Mitla haben Zapoteken und Mixteken sich ein Denkmal gesetzt. Die Bauten mit ihren waagerechten und senkrechten Linien wirken klassisch. Die Fassaden sind aufwändig mit rechtwinkligen geometrischen Mustern ornamentiert. Ein Meisterwerk der Zapoteken thront in knapp 2000 m Höhe auf dem Monte Alban. Dort schufen sie für ihre Götter und Priester in Jahrhunderten eine gewaltige Anlage von Pyramiden sowie Palästen. Dem, der sich dorthin hoch  gekämpft hat, stockt beim Anblick der Atem, bevor er ehrfurchtsvoll die Anlage durchschreitet.

Die meisten Bauwerke haben sich aber von den Mayas erhalten. Sie sind übrigens neben den Khmer in Kambodscha die einzige Hochkultur, die ihre Städte im Urwald errichtet hat. Die Mayas (und ihre Nachfahren) bevölkerten das Gebiet vom heutigen Südmexiko über Belize, Guatemala bis Nordhonduras. Überall dort überragen ihre turmhohen Pyramiden den Urwald. Die gesamte Region ist übersät mit den Ruinen ihrer Stadtstaaten, mit Palästen, Pyramiden und Observatorien. Denn die Mayas waren meisterhafte Astronomen. Sie schufen mehrere Kalendersysteme – wie auch andere mittelamerikanische alte Kulturen. Die Kalender richteten sich nach Sonne, Mond, Venus und anderen Sternen. Man kannte Schaltjahre, berechnete die Umlaufzeiten von Sternen und ermittelte die Länge des Sonnenjahrs mit minimalem Fehler. Die Bauten wurden auf Sonnenstände, Auftauchen von Sternen oder deren Verschwinden unglaublich exakt ausgerichtet. Die Anzahlen von Pyramidenstufen geben die Zahl der Tage des Jahres und andere astronomische Ereignisse wider. Zur Erforschung dieser mittelamerikanischen (sowie südamerikanischen) Kulturen hat sich inzwischen die Spezialwissenschaft der Archäoastronomie entwickelt. Selbst die NASA der USA interessiert sich für die astronomischen Fähigkeiten der Mayas. Über diese wüsste man mehr, wenn nicht der spanische Bischof Diego de Landa im 16. Jahrhundert in aus heutiger Sicht bornierter Überheblichkeit fast alle Bücher der Mayas als Teufelswerk vernichtet hätte. Langsam enträtselt die Altamerikanistik mit ihren verschiedenen Disziplinen Schicht für Schicht diese faszinierenden Hochkulturen.

Der nächste Artikel schildert gigantische Landschaften in Mexikos Nachbarschaft, die dem Besucher Ehrfurcht und Staunen abverlangen.

Text/Bilder: UM

    

    

    

    

  

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