Lucy, Klosterfeste, Felsenkirchen und die Bundeslade – Äthiopien nördlich von Addis Abeba –

6. Juni 2016

Lucy ist der Stolz aller Äthiopier, obwohl sie ca. 3,2 Millionen Jahre zählt. In den 1970er Jahren fand eine amerikanische Expedition in der äthiopischen Wüste die knappe Hälfte, also im Vergleich zu anderen prähistorischen Knochenfunden enorm viel, des Skeletts eines Australopithecus (Südaffen) oder möglichen Vormenschen, der eindeutig aufrecht ging. Die Forscher säuberten und begutachteten euphorisch ihre Ausgrabungen und überlegten, wie der (mögliche) Vormensch zu nennen sei. Die gesamte Zeit dudelte aus einem Rekorder der Beatles-Song „Lucy in the sky with diamonds“, und einer der Forscher schlug den Namen Lucy vor. So erhielt das Skelett diesen zwar nicht wissenschaftlichen, aber doch prägnanten Namen und behielt ihn. Lucy stellt das Prunkstück im Nationalmuseum in Addis dar.

Das Gebiet zwischen Addis und Eritrea bietet noch viel mehr. Der Tanasee ist nicht nur Quelle des Blauen Nils, sondern birgt auf vielen Inseln im Wald versteckte Klöster und Kirchen. Man muss in die Glaubensseligkeit eines der Klosterfeste eingetaucht sein, um zu erkennen, wie tief das Christentum seit der Mitte des 4. Jahrhunderts in den Menschen verankert ist. Riten und Bilder gemahnen an frühes orientalisches sowie byzantinisches Christentum. – Wer bis zum Tanasee vorgedrungen ist, besucht natürlich auch die imposanten Fälle des Blauen Nils. Als nächste Etappe bietet die Königsstadt Gondar Paläste aus der frühen Neuzeit. Von dort ist es nicht mehr weit in die traumhafte Landschaft der Semienberge mit ihren riesigen Herden von Blutbrustpavianen. Die heilige Stadt Axum sollte man keinesfalls auslassen. Ihre himmelwärts strebenden Grabstelen aus vorchristlicher Zeit verdeutlichen, über welche baulichen Fähigkeiten man dort bereits vor über 2500 Jahren verfügte. Heilig ist die Stadt, weil dort nach äthiopischer Überzeugung die Bundeslade mit den Zehn Geboten aufbewahrt wird.

Die Bundeslade wurde von dem (mythologischen) Menelik I, Sohn der Königin von Saba mit Salomon, aus Israel nach Äthiopien gebracht. –

Den absoluten Höhepunkt bildet der Ort Lalibela. Man schätzt, dass in Äthiopien 120 Felsenkirchen existieren. Der König Lalibela und vermutlich seine Vorgänger ließen im Mittelalter in dem nach jenem benannten Ort mehrere Ensembles von Kirchen in den Tuffstein hauen. Nach Landesglauben wurden sie in einer Nacht von Engeln errichtet. Erkundet man die Kirchen, dann fragt man sich in der Tat, wie das die Leute damals geschafft haben.

Alle Kirchen wurden bis zu 15 m tief mit breiten Umläufen in den Fels getrieben, alle Fenster, Säulen und Skulpturen im Inneren aus dem Fels herausgemeißelt, einige Kirchen sind mit unterirdischen Gängen verbunden, selbst der Jordan wurde als tiefer Graben in den Fels geschlagen. Erlebt man dort einen Gottesdienst mit stundenlangen Rezitationen heiliger Schriften, dann erfährt man bewundernd, dass es ganz andere Kultur- und Lebensentwürfe gibt als die Oberflächlichkeit der läppischen, schrillen und blökenden Spaßgesellschaft.

Es gäbe noch viel zu berichten. Der Verfasser unterwirft sich jedoch dem Gebot der Artikelkürze. – Beim nächsten Mal geht’s nach PNG. Lassen Sie sich überraschen, wo das ist.

Text/Fotos: UM

    

    

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