Die Tochter des Ganovenkönigs

17. Mai 2015

Sögel – „Manchmal merken Eltern nicht, dass ihre eigenen Kinder Juwelen sind.“

Es ist heute fast alltäglich in der Zeitung davon zu lesen, dass Eltern ihren Kindern Gewalt oder Schlimmeres antun. Was würde man wohl denken, wenn man folgendes lesen würde: Ehepaar versucht, Tochter zu verkaufen? Wäre nicht der Untertitel: „Kind entgeht Mordversuch nur knapp, Herz aus Gold war das Motiv“, man wüsste nicht, dass es sich um ein modernes Märchen handelt.

Am 17. März versammelte sich das Ensemble des Theaters „Gruene Sosse“ in der Aula des Hümmling –  Gymnasiums und versuchte zunächst, die Vorstellung abzubrechen, denn das gezeigte Stück wäre „zu brutal, gewalttätig, überhaupt ungeeignet für Kinder unter 16.“ Das Publikum protestierte lautstark, und so einigte man sich schließlich zu spielen und war sich so von Anfang an der Aufmerksamkeit der anwesenden Schüler gewiss.

Vor langer Zeit lebte in einem Land nicht weit von hier ein kleines Mädchen mit einem goldenen Herzen. Es wohnte in einem Palast, denn es war die Tochter des Ganovenkönigs, der über Nacht reich geworden war.

Julchen (Verena Specht-Ronique) wird bald 12 und soll, wie ihre 11 Geschwister, an ihrem Geburtstag verkauft werden. Der Ganovenkönig (Horst Kiss) und seine Frau (Friederike Schreiber) haben an Kindern nur pekuniäres Interesse, und als der Richter (Willy Combecher) bereit ist, den angesetzten Preis zu bezahlen, scheint der Deal perfekt. Julchen jedoch ist nicht bereit, sich wie eine Ware behandeln zu lassen und verlangt die Scheidung von ihren Eltern. Allerdings wollen diese sie inzwischen gar nicht mehr verkaufen, denn Julchen besitzt etwas, was der Ganovenkönig nicht  für Geld bekommen kann… ihr goldenes Herz. Der Vater beschließt, seine Tochter zu töten und ihr das Herz an ihrem Geburtstag herauszuschneiden, wird daran allerdings in letzter Minute gehindert, denn seine Gattin lässt ihn verhaften. Zusammen mit dem Publikum wird das Strafmaß besprochen, man einigt sich auf eine Hinrichtung durch Köpfen. Auch Julchens Mutter wird als Komplizin entlarvt und muss sich vor Gericht verantworten.

Das Publikum als Geschworene stimmt darüber ab, ob beide schuldig sind… und es scheint keine Überraschung, dass Julchen nach der Verhandlung über das Strafmaß als Vollwaise dasteht.

Allerdings gibt es zumindest für sie ein Happy End, denn sie kann ihre 11 Geschwister zurückkaufen.

Das Stück war von Anfang an mitreißend, was nicht zuletzt an der schauspielerischen Leistung des Theaters „Gruene Sosse“ lag. Der Ganovenkönig und seine Frau sorgten für etliche Lacher, denn ganz klischeehaft sprachen sie im Slang der Unterwelt und auch die Kosenamen sowie Situationen untereinander waren herrlich inszeniert. Julchen wirkte zwar nicht unbedingt wie 12, aber ihre gewählte Ausdrucksweise sowie die sympathische Art, mit der sie den Kampf gegen ihr Schicksal aufnahm, machten sie zum heimlichen Publikumsliebling. Auch der Richter/Polizist konnte seine Rolle überzeugend verkörpern, sodass das Publikum kein Problem hatte, ihn bei der Schlussverhandlung auffliegen zu lassen. Die in mehrere Ebenen unterteilte Bühne sowie der gelungene Einsatz mehrerer Erzählperspektiven sicherten die ungeteilte Aufmerksamkeit des Publikums während der gesamten Aufführung. Des Weiteren konnten die Schüler, fast will man sagen, interaktiv agieren, denn bis zum Schluss wurden ihre Meinung zur Entwicklung, sowie wichtige Entscheidungen von ihnen gefordert. Antworten wurden nicht hinterfragt, sondern angenommen. Erst am Ende kam die Frage auf, was denn schlimmer sei, „schlechte Eltern, oder gar keine zu haben“. Die Antworten des jugendlichen Publikums waren teils bewegend und teils beängstigend, denn es zeigte sich, dass die Schüler genau wussten, an wen man sich im Ernstfall wenden kann. Ihre Antworten offenbarten aber auch in erschreckender Weise, dass einige möglicherweise schon persönliche Erfahrungen mit diesem Elterntypus machen mussten oder zumindest entsprechende Vergleiche anstellten. Mit Sicherheit jedenfalls wird das Stück den Schülern und Schülerinnen noch etwas länger im Kopf herumgeistern. Eine pädagogische Nachbereitung des Theaterbesuchs an den Schulen wäre wohl angebracht. Dem Kulturkreis Clemenswerth kann man jedenfalls wieder einmal zu der gelungenen Wahl gratulieren.

Text: Rezension von Felicitas Erhardt / Foto: Andreas Bouras

    

    

  

 

 

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